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Der Name David LaChapelle ist allen Mode- und Fotografie-Interessierten unter uns schon lange ein Begriff. Doch seit dem Lifeball 2014 ist er wohl auch der breiten Masse bekannt. Am 2. Juni hielt der Künstler im Zuge der Eröffnung seiner Ausstellung (zu sehen noch bis 14.9.2014) in der Galerie Ostlicht einen Vortrag über die wichtigsten Stationen und Werke seiner Laufbahn. VIENNARAMA durfte dabei sein und lernte zugleich auch viel über Vorurteile.

Wien ist wie Rio, nur in Europa.

Zuallererst muss ich ein Geständnis ablegen. Ich war mit einigen Arbeiten LaChapelles vertraut, hatte auch seine Fotostrecken aus diversen Modemagazinen im Kopf und war der Meinung, dass dieser kleine Eindruck genügen würde, um den kommenden Abend einschätzen zu können. Ein Fotograf, für den eindeutig die rohe Erotik im Vordergrund steht. Schrill, schräg, immer viel Nacktheit und eindeutig phallische Symbolik machten den Grundstil jedes Fotos aus. Ein Künstler, der mit seinen Werken nur eines zu wollen scheint, Provokation. Doch damit – und das darf ich nach diesem ehrlich sympathischen Vortrag behaupten – lag ich absolut falsch und reihte mich damit traurigerweise auch gleich in die Riege jener Leute mit ein, die seine Arbeit nur auf das Greifbarste reduzieren.

Als David Lachapelle den kleinen Raum voller Journalisten, Fotografen und BewunderernIMG_4101 (1) betritt, wirkt er ein wenig zerstreut, fast schon erschöpft, was sich gleich als richtig herausstellen sollte. Der Lifeball, die ganzen Banketts und Meetings, die Ausstellungseröffnung – das alles in so kurzer Zeit war ganz schön anstrengend, entschuldigte er sich für den eher schleppenden Anfang. Und auch ein bisschen zu viel gefeiert, fügt er lachend bei. Er gehe nicht oft auf große Parties, meide Festivals und Veranstaltungen mit großen Massen im Allgemeinen, aber der Lifeball sei schon was ganz Besonderes. Ihn fasziniere diese bunte Welt, diese Bereitschaft sich zu verkleiden und dabei gleichzeitig zu zeigen, wer man wirklich ist. „Wien ist wie Rio, nur eben in Europa.“ Als allererstes, beschließt er, sollte man über das viel diskutierte Plakat reden. „Once in the Garden“ wurde, wie das diesjährige Lifeballthema auch, von Hieronymus Boschs Gemälde „Garten der Lüste“ inspiriert und zeigt das Transgendermodel Carmen Carrera in ihrem natürlichen Erscheinungsbild, mit sowohl weiblichen als auch männlichen Attributen. Für den Fotografen selbst war es sehr überraschend, dass dieses Motiv so viel negatives Aufsehen erregt hat und von einer politischen Partei gar als Pornografie abgestempelt wurde, erklärte er fast schon traurig. Es folgte keine Rechtfertigung, sondern eine einfache Erklärung, eine Weltanschauung, die Gegner seiner Kunst zwar nicht verstummen lassen würde, sie mit Sicherheit aber zumindest zum Nachdenken anregen würde.

Kids killing Kids

IMG_4109 (1)Der erste Denkanstoß für dieses Motiv kam, als er bei einer Party ein anderes Transgendermodel kennenlernte. Sofort war er fasziniert von ihrer Erscheinung und der Aura, die sie umgab. Er sah dieses wunderschöne Model vor sich, diese neue Ära, die er als „the next big thing“ betitelte und wollte eine Göttin erschaffen. Eine Göttin der männlichen und weiblichen Energie, die eine Art Wiedergeburt durchlebt. Es gibt in unserem Alltag so viele dieser Zwischenwesen, ja sogar in Disneyfilmen werden sie geliebt und verehrt, ob es Arielle die Meerjungfrau ist oder die Zentauren der griechischen Mythologie. Fisch-Mensch oder Mensch-Stier scheinen kein Problem für unsere Gesellschaft zu sein, warum erregt also gerade Mann-Frau solches Aufsehen? „Ergibt das, was ich hier rede überhaupt noch Sinn für euch?“ Ja, tut es. Wir sehen uns freiwillig Kinofilme wie „die Tribute von Panem“ an und werden unterhalten von Geschichten, in denen Kinder andere Kinder töten, lesen in den Nachrichten jeden Tag von Katastrophen, Morden und Krieg – aber eine ästhetische Abbildung einer Schöpfungsszene finden wir anstößig?
Er kenne so viele Transgender, die sich Zeit ihres Lebens verstecken mussten, in die Prostitution abrutschten oder einfach grundlos keinen Job bekommen. Niemand tut sich so eine drastische Umwandlung an, nur um eine Art Kick zu erleben oder Nervenkitzel zu verspüren. Die Operationen sind unglaublich kostspielig, die psychischen Strapazen oft schwer zu verarbeiten und trotzdem müssen sie sich danach immer noch rechtfertigen oder gar verstecken. „Ich dachte, nun sei der richtige Zeitpunkt gekommen, ich dachte, dass die Welt jetzt bereit dafür ist.“ Er wollte mit dem Plakat die Schönheit der Vielfalt und die Andersartigkeit zelebrieren und niemanden provozieren oder schockieren. Ob man von Seiten des Lifeballs doch ein bisschen auf etwas Provokation und Aufsehen gehofft hatte, lassen wir mal dahingestellt, denn jede Art von Promotion dient hier der guten Sache. Auf die Frage, wie sie es fände, wenn man ihren Penis sehe, antwortete Carrera übrigens schlicht: „Na klar, solange er gut aussieht.“

Alles in allem sei er froh, dass das Bild nun auch noch versteigert wurde. In einen aufgeschlossenen Haushalt mit Kindern, wo es aufgehängt und nicht versteckt wird. Denn dass der Erlös nun schlussendlich auch noch dem guten Zweck diente, bringt alle Zweifler vielleicht doch noch zum Nachdenken.

„I felt out of love with fashion“

Bekannt geworden als der Junge, der bei Andy Warhol anklopfte und nach einem JobIMG_4096 (1) fragte, etablierte David LaChapelle sich schnell in der Fashionszene und fotografierte vorwiegend Modestrecken für führende Magazine. Legendär das Foto von Courtney Love als heilige Maria, den gekreuzigten, abgemagerten Kurt Cobain im Arm haltend. Doch plötzlich kam der Tag, an dem ihn die Fashionszene einzuengen begann, an dem er seiner Kreativität Grenzen gesetzt sah. „It was beautiful, but it was over.“ Wie in einer Affäre, die zur Beziehung überging, verblasste seine Liebe einfach irgendwann. Er wollte von da an am liebsten als Farmer im Wald leben, so einfach und nachhaltig es ging. Überhaupt sollten die Themen Natur und Nachhaltigkeit in Zukunft sehr oft in Werken thematisiert werden. Fotos von leuchtenden, fast schon einladend wirkenden Tankstellen mitten im Dschungel oder riesige Raffinerien, die sich bei genauer Betrachtung aus Strohhalmen und anderen recycelten Dingen zusammensetzen sollen auf die industrielle Revolution und ihre Auswirkung auf unsere Gesellschaft in der Zukunft hinweisen. Wir sollen das Leben mit mehr Aufmerksamkeit und Dankbarkeit leben, denn es ist kostbar. Liebe, Zusammenhalt, Frieden und Humanität sind immer wiederkehrende Themen in seinem Vortrag wie auch in seinen Werken.

Überhaupt ist der Abend sehr emotional. Es wird viel gelacht, als er Anekdoten von Andy Warhol erzählt oder sich an Sätzen in Deutsch versucht. Gleich wieder kommt sehr nachdenkliche Stimmung auf, als er von lieben Freunden erzählt, wie Alexander McQueen, Isabella Blow oder seinem ersten Freund, die sich das Leben nahmen oder an Aids starben. Und so sind auch die meisten Werke David LaChapelles konzipiert – fröhlich und schrill im ersten Augenblick der Betrachtung, aber immer mit einem kleinen Detail, das irritiert, die Stimmung des Bildes kippt und den Betrachter einen Denkanstoß gibt.

What’s next

Bleibt nur noch die Frage, was der Mann, der von Akt bis Stillleben schon alles gemacht hat, als nächstes vorhat. „Paradise“, sagt er vielversprechend. Er lese dieser Tage schon so ungern die Zeitung und höre fast keine Nachrichten mehr, bei all den Katastrophen und schlechten Neuigkeiten, von denen man hört. Nach all den Krisen und schlechten Zeiten ist es wieder Zeit für Schönes, für Heiterkeit und Liebe. „Soul, Spirit, Angels.“ Man darf also gespannt sein.

IMG_4100 (1)VIENNARAMA-Fazit: Für jeden, der sich nun selbst ein Bild machen möchte oder gar auf den Geschmack gekommen ist, gibt es in der Galerie Ostlicht – gelegen bei der coolen Anker Brot-Fabrik im 10. Bezirk – noch bis 14. September 2014 die Gelegenheit für einen Ausstellungsbesuch. Und vielleicht können wir ja noch was lernen, von mehr Toleranz, versteckter Schönheit und Provokation, die eigentlich nie eine sein sollte.

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