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Konzerte. Für die eine das höchste der Gefühle, für die andere das Grauen des Wartens. Marlene und Hannah haben es wieder getan: ein neues Wort am Sonntag ist hier. Wer sein Tanzbein gern mit Fremden schwingt und wer seinen Lieblingssongs lieber auf Couch lauscht, das lest ihr heute. 

Marlene: Contra – so weit geht die Liebe dann doch nicht…

Marlene-Winter-Wort-am-Sonntag-300x300Eines gleich vorweg: Ich liebe Musik. Und es ist keine halbherzige Liebe à la „Ich hab gern das Radio nebenbei laufen“, sondern mehr eine „Beyoncé? Wird nie an Billie Holiday rankommen!“-Liebe. Dass ich Konzerten eher abgeneigt bin, liegt aber nicht daran, dass die meisten Musiker, die mich faszinieren, bereits das Zeitliche gesegnet haben. Nein. Die Idee „Konzert“ finde ich sogar ausgesprochen attraktiv. Der Spruch „Live spürt man mehr!“ kommt ja nicht von ungefähr. Aber die Realität hat mich schon zu oft eingeholt, als dass ich sie weiter ignorieren könnte.

Es fängt nämlich schon bei den Rahmenbedingungen an: Endlose Warteschlangen beim Eingang, die kleine Schwester der endlosen Warteschlange bei der Garderobe. Um die Warterei zu verarbeiten, braucht man anschließend einmal ein Bier. Also heißt es: Ab zur Bar und wieder warten. Endlich ein Bier in der Hand, muss man sich irgendwo hinkämpfen, wo man halbwegs ungerempelt sein Bier trinken und darauf warten kann, dass die Vorgruppe, die einen meistens ohnehin nicht interessiert, anfängt oder wieder aufhört. Und wenn es dann endlich so weit ist, dass der Act, für den man all diese Unbequemlichkeiten der auf einen einwirkenden Umwelt auf sich nimmt, die Bühne betritt, bin ich motivations- und energieressourcentechnisch quasi schon wieder bereit nachhause zu gehen. Zum Glück ist die Performance dann oft auch nicht das, was man sich erhofft, so dass ich mir für die kommenden drei Konzerte merke: Es zahlt sich für mich wortwörtlich einfach nicht aus. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich mit dieser „Mimimi“-Attitüde nicht den sympathischsten Eindruck hinterlasse. Doch irgendwann ist man einfach zu alt, um sich vorzumachen, dass man jung ist.

Ich war schon immer eine alte Frau, gefangen im Körper eines jungen Menschen. Endlich nähern sich Physis und Psyche einander an. Denn ich betone: Ich konnte Konzerte noch nie wirklich genießen – ich konnte es mir nur wirklich gut einreden. Zum Glück. Denn so kann ich mir später nicht vorwerfen, meine persönliche Bucket List der Jugendverpflichtungen nicht abgearbeitet zu haben. Festival to da fullest? Check. Ghostface Killah und Mos Def live gesehen? Check. Mittendrin statt nur dabei gewesen? Aber sicher doch. Und nachdem ich mich nur vor mir selbst rechtfertigen muss, kann ich meine alten Tage nun gemütlich zuhause verbringen, mir eine Platte auflegen und die verinnerlichte Weisheit meiner Mutter ausleben, die immer wieder ihre eigene Mutter zitierte und mich damit in Teenagerjahren zur Weißglut brachte. Doch heute weiß ich: Wenn eines wahr ist, dann das: „Des spün’s olles ohne di a o.“

Pro: Konzerte – von durchtanzten Nächten und kaputten Knien!

Ich sag’s gleich vorab. Ich bin noch nie so lange schwanger mit einem Thema gegangen wie mit diesem.Hannah-Poppenwimmer-Wort-am-Sonntag-300x300 Zufrieden bin ich immer noch nicht. Dinge, die mir wichtig sind, sind für mich meist schwer in Worte zu fassen. Aber Konzerte und ich – das ist eine lange Liebesgeschichte.

Begonnen hat alles vor 15 Jahren. Seit es mir meine Eltern erlauben, gehe ich regelmäßig auf Konzerte, und das mit Herz und Seele. Ein Lied, das man schon auf CD liebt, live zu sehen, hat für mich etwas ganz Besonderes. Ich kann mich noch ganz genau erinnern: „Wir sind Helden“ waren im Gasometer und „Olli Schulz und der Hund Marie“ waren Vorband. Ein magischer Abend. Klingt kitschig, ist aber so. Von da an wusste ich: das wird was, mit mir und den Konzerten. Was diese Magie für mich ausmacht? Bei Konzerten herrscht einfach eine ganz spezielle Stimmung, die schwer in Worte zu fassen ist. Die Spannung im Raum, Sekunden bevor die Band die Bühne betritt. Das gemeinsame Tanzen und Singen mit Wildfremden. Einen Abend lang verbindet einen  etwas mit Menschen, die man noch nie zuvor gesehen hat. Man wird sich nicht befreunden und sich vielleicht auch nie wieder sehen. Aber für diesen einen Abend teilt man etwas, was so auch nie wieder stattfinden wird. Das finde ich schön. Außerdem haben Konzerte für mich auch eine seelenreinigende Wirkung. Einen Abend lang abschalten, tanzen und kurz alle Alltagsprobleme ausblenden hat für mich eine motivierende Wirkung. Für mich ist eine Band erst dann eine richtige Band, wenn sie es schafft, die Begeisterung für ihr Fach auf das Publikum zu übertragen. 

Gemeinsam kreieren Publikum und Band einen einzigartigen Abend und wenn man spürt, dass beide Seiten gleichermaßen Freude haben, dann entstehen unvergessliche Abende. In den Jahren nach meinem ersten Konzert reihten sich unzählige Bands hinter „Wir sind Helden“ ein. Egal ob auf Konzerten oder auf Festivals – in meiner Blütezeit war ich auf 1-2 Konzerten in der Woche. Die Ärzte. Die Toten Hosen. Reel Big Fish.  Beatsteaks. Metallica. Macklemore. Rammstein. Sido. Mia. Bastille. Blink 182. Coldplay. Kraftklub. Fettes Brot. Mumford & Sons. Ich gebe zu, nicht für alle hätte ich mir Tickets gekauft, aber durch das Arbeiten für einen Konzertveranstalter bin ich auch in den Genuss von Beyoncé oder Justin Bieber gekommen.

Doch irgendwann hat mir die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das stundenlange Stehen hat sich auf meine Knie geschlagen. Deswegen besuche ich heute nur noch Konzerte von Bands, die mich wirklich sehr interessieren. Und auch mein Konzertverhalten hat sich mit den Jahren geändert. Ich bin eine alte Dame geworden. Früher war die Mission klar: erste Reihe, den Musikern besonders nahe sein und auch so manchem Pogo habe ich mich hingegeben. Jung und wild wurde gegen alt und freiraum-liebend getauscht. Heute will ich auf Konzerten niemandem mehr nahe sein. Mein liebster Platz bietet folgendes: beste Sicht auf die Bühne – also bin ich meistens am Rand oder ganz hinten zu finden. Dort kann ich alles sehen, habe Platz und Luft zu atmen und kann nach Herzenslust tanzen.

Wenn ihr also auf einem Konzert eine unangenehm tanzende Frau in der letzten Reihe seht, von der ihr euch wünschen würdet, dass sie weiter vorne steht: YES – that’s meee! Sagt „Hallo“, wenn ihr mich seht.

Fotocredits: Photo by Yvette de Wit on Unsplash

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