Ein neuer Sonntag. Ein neues Wort am Sonntag. Thema heute: Freizeitstress. Wer diese Kolumne schon länger verfolgt, ahnt wahrscheinlich schon, welche der beiden Kolumnistinnen in Embryonalstellung auf der Couch liegt und wer von einem Event zum nächsten hopst. Na, schon eine Idee?
Pro: Marlene – „Ich kann nicht nichts tun!“
Gemeinhin wird Stress mit Negativem assoziiert. Zerstreute Gedanken, keine Verschnaufpause, Überforderung und hastiges Essen sehe ich beispielsweise vor meinem inneren Auge auftauchen. Dabei vergessen wir, dass es nicht nur den unguten und unbrauchbaren Disstress, sondern auch den positiven, antreibenden Eustress gibt. So wie ich ihn beispielsweise in der Gestaltung meiner Freizeit empfinde. Gut, fairerweise muss ich dazu sagen, dass derzeit nur ein geringfügiges Arbeitsverhältnis meinen Alltag bestimmt – mit umso mehr Freizeitstress kann ich dafür dienen!
Ich kann all die Dinge tun, die mich erfüllen und glücklich machen, ohne sie an einem „9 to 5“-Job auszurichten und mir überlegen zu müssen, wie es um meinen Energiehaushalt stehen wird, bevor ich Zusagen verstreue. Die Gefahr zu übertreiben ist natürlich ebenso groß, vor allem, da der Glücksrausch an Eigendynamik gewinnt und die von außen gesetzte, rationale Ruhestellung von Körper und Geist ob des Mangels an Alltagsärgernissen ausbleibt. Frei nach dem Motto und selbst gesetzten Axiom „Ich kann nicht nichts tun!“ verfolge ich daher seit einigen Wochen wieder Freizeitprojekte en masse: Einen Yogakurs – den wollte ich schon immer machen. Und meine Haltung ist nach Beendigung eines Bürojobs ja auch nicht gerade grazil. Neue Lokale ausprobieren? Gleich mit den Freunden, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe. Eine Ausstellung wär auch wieder fein! Und dann kann ich auch gleich einen Bericht drüber schreiben. Und heute das neue Rezept ausprobieren, dann neue Hosen einkaufen und am Abend ist doch ein Konzert von meinem Onkel – da hab ich’s bis jetzt doch auch noch nicht hingeschafft! Es ist großartig gefährlich.
Aber betrachte ich es aus möglichst objektiver Sicht, finde ich die Fähigkeit mit der eigenen Freizeit – und in weiterer Folge den eigenen Interessen, der eigenen Passion, kurz, dem eigenen Glück – umgehen zu lernen, also mit physischen, mentalen und emotionalen Ressourcen nicht nur im Negativen, sondern auch im Positiven hauszuhalten, nicht weniger erstrebenswert. Aber jetzt Schluss. Ich muss meine Wohnung räuchern.
Contra: Hannah – von Embryonalstellung und Netflix
Freizeitstress. Wenn es zwei Worte gibt, die nicht zusammenpassen, dann sind es die Worte Freizeit und Stress. So wie Apfelstrudel und Rosinen. Erwachsene Männer und Skinny Jeans. Mit Scooter im Businessoutfit in die Arbeit fahren. Strache und Nächstenliebe.
Ist es nicht der Sinn von Freizeit, dass man sich entspannt und seine Energiespeicher auffüllt? Finde ich auch.
Trotzdem tendieren wir Menschen dazu, uns selbst hier zu stressen. Die Freizeit muss besser, lauter, länger, intensiver genutzt werden. Das Maximum an Erholung erreichen und das am besten dokumentieren, damit auch alle auf diversen Plattformen sehen können, wie intensiv man seine Freizeit genießt. Das kann ich nicht. Ich kann mich auch bei Massagen nicht entspannen, weil ich so konzentriert und intensiv versuche mich zu entspannen, dass ich total unentspannt werde. Andererseits bewundere ich Menschen, die aus der Arbeit kommen, in ein Museum gehen, Freunde treffen und danach noch einem Hobby nachgehen, ohne am Abend streichfähig zu sein. Alleine der Gedanke stresst mich unglaublich. Deswegen versuche ich neben einem stressigen Job meine Freizeit so gemütlich wie möglich zu gestalten.
Nicht falsch verstehen, auch ich habe versucht das Maximum meiner Freizeit auszunützen. Jeden Tag nach der Arbeit Programm. Alle Freunde sehen, allen Hobbies nachgehen und so weiter und sofort. Resultat: Meistens war ich am zweiten Tag meines Monsterprogramms krank. Was zur Folge hatte, dass niemand in meinem Freundeskreis verwundert ist, wenn ich ein Treffen auf Grund von Krankheit absage. Ich glaube, ich bekomme auch kein Mitleid mehr. Schade eigentlich. Deswegen verbringe ich den Großteil meiner freien Zeit in Embryonalstellung auf der Couch mit meinem Freund Netflix. Klingt traurig, ist es aber nicht.
Seit ich meine Freizeit bewusster gestalte, nicht auf jedes Event gehen will (drauf freuen bringt eh nichts, werde eh krank) und meinem Körper die Ruhe gebe, die er offensichtlich braucht, mag mich dieser zum einen wieder und zum anderen läuft meine Freizeit entspannter ab. Ich habe meinen inneren Freizeit(stress)-Frieden gefunden. Events werden selektiv ausgewählt, Freunde werden zwar seltener getroffen, dafür aber bewusster und Ruhepausen werden intensiver wahrgenommen. Und wie in allen Belangen gilt auch hier: Leben und leben lassen. Wenn jemand entspannt, indem er von einem Termin zum nächsten pendelt, dann freue ich mich für die Person, bin vielleicht ein wenig eifersüchtig und dreh mich zu meinem Bildschirm, um eine neue Folge „Suits“ anzufangen. C’est la vie!
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