Der Sommer hält Einzug im Museumsquartier, und die Wiener sind wieder mit Dosenbier auf den bunten Sitzmöbeln oder Aperol schlürfend in den Bars an den Rändern des großen Hofes anzutreffen. Just zum Auftakt des warmen Jahreszeit hat auch die Kunsthalle ein neues Programm entworfen: „How To Live Together“ heißt die neue Ausstellung, die viel mehr als nur eine Ausstellung ist. VIENNARAMA war vor Ort.
How (not) to live together?
Nikolas Schaffhausen, der Kurator der Kunsthalle, will mit „How to live together“ dazu anregen, zeitgenössische soziale und politische Entwicklungen zu hinterfragen und angesichts wachsender Xenophobie, eines zunehmenden Klassenbewusstseins und Ausgrenzungspraktiken die fundamentale Frage nach dem Zusammenleben zu stellen. Nicht nur die Frage nach dem „wer“, sondern auch nach dem „wie“ steht im Mittelpunkt. Der Titel der neuesten sozialkritischen Ausstellung der Kunsthalle könnte auch „How not to live together“ sein. Viele der Kunstwerke scheinen ein „Gegeneinander“ und Praktiken des Ausgrenzens zu thematisieren statt ein „Miteinander“ und Praktiken des Inkludierens. Natürlich bedingt das eine das andere, aber die Frage nach dem Titel und das Rätsel des Zusammenlebens bleiben, gerade im Hinblick auf die ausgestellten Werke.
Von Vergangenheiten und Zukunften
Im Erdgeschoss ist zum Beispiel eine Videoarbeit des angolanischen Künstlers Binelde Hyrcan ausgestellt, in welcher sich vier Jungen spielerisch mit der Realität und Zukunft des Angolas der Nachbürgerkriegszeit auseinandersetzen. In einem aus Sand gebauten Auto besprechen sie ihre Zukunft: „You belong to the slum! Directly in the shacks!” – “No, me, in a short time, I’ll live in a building, and you in a short time, you’ll be in a house made of cans!” – “Enough! Driver! Go! It’s been six hours and we’re still getting nowhere! In Brazil people get around by plane, it’s not like in here; there’s no shitty car like this one!”
Auf einer anderen Wand kann die Videoarbeit der lettischen Künstlerin Ieva Epnere betrachtet werden, welche sich in „Potom“ mit dem widersprüchlichen Verhältnis zwischen Russland und Lettland auseinandersetzt. Die Videoarbeit folgt einem russischen, militärischen Funktionär, einem von vielen, die nach der Besatzung in Lettland verblieben sind, aber kein formelles Recht auf die lettische Staatsbürgerschaft haben. Ob der Protagonist diese überhaupt haben will, ist fraglich, denn im Video ist er mental noch in Russland, wie die Künstlerin erklärt, in einer Vergangenheit die nicht mehr existiert.
Eliten, Kolonialisten, und Banlieus
Im Obergeschoß finden wir unter anderen Tina Barney, eine New Yorker Künstlerin, die selbst zum Kreise der wohlhabenden Upper Class Amerikas gehört. Sie präsentiert Auszüge aus der Serie „The Europeans“ – Fotografien, welche die Porträtierten „als Vertreter einer bestimmen gesellschaftlichen Klasse ausweisen, auch wenn deren Codes von Land zu Land verschieden sein“. Mit einer gewissen Klasse meint man hier wohl interpretativerweise „alter Land-Adel“, „polo-tragende Sprösslinge in Küchen, in denen sie noch nie gekocht haben“, „Menschen mit teurem, aber fragwürdigem Stil“ (zum Beispiel Leo-Gürtel und exotische Haustiere als Accessoires). Eine Porträtserie reicher Menschen also, welche in ihren Posen und Gesten ihre Klassenzugehörigkeit demonstrieren. Definitiv ein kritisches Stück Arbeit, aber inwiefern erreicht die Kritik den Betrachter? Oder scheint es einfach ein Porträtieren reicher Menschen zu sein, in einer schicken Kunsthalle voll mit kontemporärer Kunst, die keiner verstehen kann (oder will)?
Auch die Fotoserie des algerisch-französischen Künstlers Mohamed Bourouissa erweckt unsere Aufmerksamkeit. Sie zeigt junge Männer in den Pariser Banlieus, abseits brennender Autos und Konflikte. Die Platzierung dieser zwei unterschiedlichen Bildserien nebeneinander ist interessant und gelungen, doch noch bleibt unklar wie diese zwei Werke in der Ausstellung miteinander kommunizieren. Sollen sie das und können sie das überhaupt? Die Ausstellung sollte nicht verlassen werden, bevor man die Arbeit von Sven Augustijnen, einem belgischen Künstler, betrachtet hat. Er entdeckte im Rahmen seiner Recherchen über das belgische Kolonialregime das sogenannte „Reduit“, welches von der belgischen Regierung im Falle einer „kommunistischen Invasion“ in Europa als Zufluchtsort gebaut wurde.
VIENNARAMA-Fazit: Die Konzeption der Ausstellung als offener Raum mit vielen Werken lädt die Besucher dazu ein, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Offenheit des Konzepts kann auf zweierlei Arten genutzt werden: einerseits um nach Möglichkeiten des Zusammenlebens zu suchen, und andererseits um auf die Unmöglichkeit eines Zusammenlebens hinzuweisen. Man läuft daher Gefahr, die Ausstellung trotz allem durch die eigene soziale Brille zu sehen. Wir bleiben, wie auch der Spruch des Werbeplakats der Kunsthalle, optimistisch: „Verantwortung. Solidarity. Power. Empowerment. Konflikt. Freedom. Optimismus“. Prädikat: sehenswert.
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