Heute beschäftigt sich unsere Jenni mit dem Wiener Kaffeehaus. Wie ihr Verhältnis zu strengen Kellnern ist und wieso sie kalten Zigarettenrauch genießen kann, lest ihr im heutigen „Stammcafé“.
Schloss Schönbrunn, eine Fiaker-Fahrt oder ein Besuch im Stephansdom – Dinge, die man mit unserer Stadt verbindet, Dinge, die auf keinem Touristenfoto fehlen dürfen. Man wedelt dann gerne mit dem Foto von sich vor der jeweiligen Attraktion herum, in beruhigter Gewissheit, man hätte unsere Hauptstadt nun gesehen. Man kann noch so oft den Ring entlang wandern, in eines der vielen neuen Steakhäuser, Burgerbuden und Donutshops gehen – meiner Meinung nach versteckt sich Wien im Kaffeehaus.
Meine allererste Erfahrung in Sachen Wiener Kaffeehauskultur machte ich in einem der ältesten typischen Kaffeehäuser, dem Café Sperl in der Gumpendorferstraße. Vorweg muss ich sagen, dass ich zuvor ausschließlich Besucher moderner, kleiner Cafés war, wo das Personal gewohnt freundlich und zuvorkommend ist und die Einrichtung aus liebevoll zusammengestellten Vintage-Möbeln besteht. Im Sperl allerdings bekommt Vintage eine ganz neue Dimension.
Man geht durch die Eingangstür direkt in einen kleinen gläsernen Vorraum, der früher vermutlich dazu diente, nur nichts von der kostbaren atmosphärisch-rauchgeschwängerten Kaffeehausluft entwischen zu lassen. Betritt man dann unter dem Knarren der alten, dunklen Holzdielen den Gastraum, ist man sofort verliebt in die geschichtliche Atmosphäre und das Wienerische, das dich fast schon erschlägt – oder dir zumindest eine gut gemeinte Watschn gibt. In die alten Polstermöbel, in die Patina der Wände, in das alte Holz und die hohen Fenster. Ich war mit meiner Mutter unterwegs und wir hatten zuvor beschlossen, uns das volle Programm zu gönnen. Also bestellten wir das Wiener Frühstück samt Eierspeis‘, Handsemmerl, gekochtem Ei und Melange. „Ist da das Gebäck dabei?“ – „Is‘ dabei, steht in der Karte!“ entgegnete unsere Kellnerin mit einer Mischung aus Strenge und Wurschtigkeit, wie ich es früher von meiner Lehrerin kannte. Okay, danke sagen und Augenkontakt ab jetzt vermeiden.
Das Café Sperl ist eines der geschichtsträchtigsten Kaffeehäuser Wiens, bewirtete schon Erzherzöge und Literaten und wurde 1880 eröffnet. Aus dieser Zeit stammt auch noch die gesamte Mitarbeiterschaft. Nicht, dass man jetzt glaubt, ich finde das nicht gut, nein, ich fand es großartig. Zugegeben, ich hatte schon höflichere, motiviertere und schnellere Kellner – beim Servieren des Gebäcks konnte man mit bloßem Auge dem Handsemmerl im Körberl am Weg zu unserem Tisch langsam, aber sicher beim Vertrocknen zusehen. Auf mein für dieses Ambiente zu erquickliches „Vielen Dank!“ wusste die Grande Dame im Kellneroutfit gekonnt entspannt zu antworten. „Bitt’sche, bitt’sche. Nix zu danken.“ Wieder was in Sachen richtiges Kaffeehausverhalten gelernt: kein unnötig-moderner Enthusiasmus, sondern entspanntes Koexistieren.
Wir saßen am Fenster, waren glücklich, es war ein Wintertag und es duftete nach Melange, frischem Gebäck und Nostalgie. Und kaltem, uralten Zigarettenrauch, zugegeben. Nach Verzehr des halben Frühstücks bemerkten wir das Fehlen des gekochten Eis. „Ja, ich sag‘ nichts mehr, mich hasst sie ja eh schon.“ Das Ei war allerdings nicht verloren, es stand schon eine Weile in Sichtweite am Tresen und wartete auf Abholung. „Wenn ich’s mir jetzt selber hole, frisst sie mich, oder?“ Eines kann niemand bestreiten, und zwar, dass wir großen Spaß in diesem Kaffeehaus hatten. Beim vorletzten Bissen stand Kellnerin samt Ei plötzlich neben uns, gazellenhaft angeschlichen mit ihren Gesundheitsschlapfen und ungerührt von dem Fauxpas. Als Kenner moderner Cafés und Restaurants erwartet man dann eine überschwängliche Entschuldigung und das Angebot, das mittlerweile kalte Ei zu ersetzen. Die grandiose Antwort unserer Perle aber war – und deshalb werde ich diese Art von Kaffeehaus für immer lieben: „Gnädige Frau… wollen’s das Ei überhaupt noch?“
Zu meinem zweiten Besuch machte ich mich auf, in Anbetracht diesen Artikel zu schreiben und noch einige Überlegungen zu sammeln. Und wo könnte man das besser, als direkt im Kaffeehaus? Ich entschied mich für das Café Westend, welches durch seine Lage als auch durch die gewünschte Authentizität überzeugte. Zum Schreiben und Nachdenken bin ich am liebsten alleine, deshalb hielt ich Ausschau nach einem passenden Tisch, wobei ich dem Oberkellner im Weg stand. Er sah mich an, ich sah ihn an, die typischen peinlichen zwei Sekunden, bis ich etwas herausbrachte. „Einen Tisch für eine Person, bitte..“ kam dann beim Oberkellner, der sich eigentlich gar nicht für Platzzuweisungen interessierte, genauso hilflos an, wie es war. „Ein Platz für eine Person? Sehr gerne, folgen’s mir, Euer Gnaden.“
Es ist schon lustig, dass so eine Parallelwelt wie diese hier existiert. In der man vom Personal happig behandelt oder gar mit süffisantem Blick nachgeäfft wird und das auch noch toll findet, weil so typisch und authentisch. Die abgestandene Luft, die überteuerten Mannerschnittenpreise, die unerhörte Gemütlichkeit – das alles ergibt diese zähe Masse, die sich Wiener Schmäh nennt. Ich saß da, meine Melange in der Hand (meinen üblichen Latte traute ich mich gar nicht zu bestellen) und war froh, genau hier zu sein und nicht in einem hellen, modernen Café mit Cupcakes, Cronuts und Hugo, welches sich so gar nicht von denen unterscheidet, die es überall auf der Welt gibt. Es ist neben Fiaker, Sacher und Sissi schon eine gute Sache, so ein Urgestein wie das Wiener Kaffeehaus sein Landeseigen zu nennen und patriotisch den hölzernen Zeitungshalter zu schwenken.
Dichter, Schriftsteller, die großen Literaten unseres Landes – sie alle trafen sich im Kaffeehaus, führten hitzige Debatten, ganze Literaturgruppen wurden gegründet, ja, man nahm hier aus Kostengründen sogar seine privaten Anrufe entgegen. Warum also nicht öfters mal zum Schreiben ins Kaffeehaus gehen und den Geist der großen Vorgänger auf sich wirken lassen und mit dem österreichischen Essayisten Anton Kuh zu halten, der sagte:
Was ist ein Kaffeehausliterat? Ein Mensch, der Zeit hat im Kaffeehaus darüber nachzudenken, was die anderen draußen nicht erleben.
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