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Lang, lang ist’s her. Aber wie der Frühling mit Sicherheit immer wieder auftaucht, wenn man die Hoffnung schon aufgegeben hat, so kommt auch das Wort am Sonntag wieder, wenn man es schon beinahe vergessen hatte. Thema heute: Frühlingsgefühle. Dass Hannah und Marlene unterschiedliche Auffassungen haben, ist ja nichts Neues! Lebensfreude trifft auf Zynismus. Wisst ihr schon, wer wer ist?

Hannah: Pro – Frühling. Frühling. Yeah. Yeah.

Hannah Poppenwimmer Wort am Sonntag

Frühlingsgefühle. Jetzt werden die, die mich nicht kennen denken „Oi, jetzt schreibt sie wie schön es ist, verliebt zu sein, blah blah“. Die, die mich kennen, werden wissend schmunzeln. Aber ich muss beide enttäuschen, denn ich werde nicht über das klassische Erwachen der romantischen Frühlingsgefühle sinnieren. Nicht im klassischen Sinne eben – kenn ma eh scho ois. Denn ich bekomme Frühlingsgefühle dem Leben gegenüber zu dieser Jahreszeit. Nie liebe ich mein Leben so sehr wie im Frühling.

Denn das Leben ist nun mal viel l(i)ebenswerter, wenn man in der Früh aufsteht, die Sonne lacht und man nicht mehr im Dunklen zur Arbeit trottet. Wenn man durch einen Park spaziert und den Knospen beim Aufblühen zusehen kann. Wenn man am Abend noch draußen sitzen kann und der Sonne beim Untergehen zusieht. Wenn man euphorisch die Therme auf den Sommermodus umstellt. Im Frühling, da ist noch alles möglich. Da planen wir, dass der bevorstehende Sommer der Sommer unseres Lebens wird. Nicht nur die Natur erwacht jetzt langsam aus ihrem Winterschlaf, sondern auch wir Menschen – unsere Energie kriecht langsam in die vom Winter erfrorenen Gebeine zurück, und wir lassen uns die ersten Sonnenstrahlen aufs Gesicht scheinen. Wir träumen von Kirschen, die uns die prachtvollen Kirschblüten ankündigen. Freuen uns auf Entenküken im Stadtpark (Nein, ich habe noch nie selbst welche gesehen, aber bei der Anzahl an Enten müssen irgendwann Küken da sein. Hoffe ich zumindest.) und essen freudigst das erste Eis der Saison.

Ihr merkt – ich bin verliebt in den Frühling und ich bin mir ziemlich sicher, dass auch der Frühling auch ein bisschen auf mich steht. Denn ich bin die Person, die um 6.00 Uhr morgens das Fenster aufreißt und sich lebensgefährlich weit aus dem Fenster lehnt, um den Sonnenaufgang zu beobachten, die die Winterjacke verstaut und übertrieben oft die Sonnenbrille aufsetzt. Die, die Kirschen schon schmecken kann und die Entenküken in Gedanken durch den Stadtpark jagt. Ich sag’s euch: DAS wird der Sommer unseres Lebens. Gut, vielleicht ist der Frühling der coole Rockstar, der abwertend das Groupie mit Transparent, Bandshirt, Hoodie und Kappe, anlächelt und ich bin die Ehrenvorsitzende des „Frühling. Frühling. Yeah. Yeah.“-Fanclubs. Auch okay. Denn eines ändert sich dadurch nicht: wenn ich die Musik des Frühling im Ohr habe, dann bin ich verliebt. Wenn man dann noch romantisch verliebt ist, kann diese Jahreszeit wirklich nichts mehr toppen. Hab ich gehört. Also lasst uns rausgehen, den Frühling begrüßen und das Leben feiern. Denn bunter und facettenreicher als jetzt wird es in diesem Jahr nicht mehr. *motivationsredeende*

Marlene: Contra – Mit Gefühlen hat das nichts zu tun.

Marlene Winter Wort am Sonntag

Die Temperaturen steigen, und – die ersten Wahnsinnigen in Shorts und Minirock betreten die Bühne. Wenn ich mir der sich langsam entblätternden Mitmenschen visuell bewusst werde, ereilen mich weniger Frühlingsgefühle in „Hallohallo, wen hamma denn da Hübsches?“-Gedankenform als wahrscheinlicher Pseudomutterinstinkte wie „Schatzal, ziag da was an! Morgen bist krank! Hat sich’s dann auszahlt?“. Ja, was Frühlingsgefühle angeht, bin ich nun einmal, meinem Namen getreu: Frau Winter. Gefühlskalt.

Nicht, dass es mich nicht freut, wenn es wärmer wird – ich bin eine einzige Frostbeule mit Extremitäten, welche ich in der kalten Jahreszeit liebend gerne wie eine Schildkröte in meinen Körper einziehen würde – aber Frühlingsgefühle à la in Wallung geratendes Blut halte ich für eine geschickt in den „Köpfen“ platzierte Werbekampagne von Durex. Auf einmal lachen sich die Geschlechtsteile an und die Mundwinkel ziehen nach. Traurig. Dieses „traurig“, bei dem ich den Protest der Leserschaft schon vorfühle, muss ich ausführlicher erklären. Denn: Ein Lächeln ist definitiv wie Schokolade für mich! (Und ich bin ein Süßigkeitenjunkie und entsage diesen in der Fastenzeit. Man mag sich die Tragweite dieses Vergleiches also vorstellen, wenn ich alltägliche Vergleiche mit einem Heroinentzug nicht scheue.) Ja, und auch die Kontur des männlichen Körpers ist alles andere als etwas, das mich mit Ekel erfüllt. Bin ich doch die Erste, die aufscheinende Tattoos genauer betrachten möchte und in regelmäßigen Abständen Dinge wie „Darf ich mal deinen Bizeps angreifen?“ fragt und nach vollbrachter Abtastung kichert wie ein Schulmädchen, das dem Lehrer einen Zettel an den Rücken geklebt hat. Aber – und es ist ein lang gezogenes, inbrünstiges AAABER – ich bin ein Fan von Integrität und Persönlichkeit. Ich bin also ein Mensch, der lächelt, auch wenn mir die Wangen abfrieren, weil lächeln und Freundlichkeit zu meiner Grundeinstellung der Umwelt gegenüber gehören. Ich schätze auch ein freundliches Gesicht, das – ohne weiteren Hinweis auf einen zugehörigen Körper auszugeben – aus einem Michelin-Daunenmantel-Astronautenanzug hervorragt. Und zwar ohne jegliche Hintergedanken. Männlein oder Weiblein sind auf offener Straße in meinem Kopf erstmals als Freund und zu Helfende abgespeichert.

Radikal, wie ich nun einmal bin, möchte ich nicht allen meinen Mitmenschen dieselbe Machart unterstellen. Da gibt’s ein Lächeln oft erst für nackte Beinchen oder Dekolleté, das vormals von schwerem Strickkettenhemd belagert war. Oder für verschwitzte Oberkörper und Muskeln in Bewegung, denn Basketballplätze und Street Workout Zonen werden zum Hot Spot der Fleischbeschau der urbanen Frau. Und dann im Büro tauscht man sich über die romantisch-verklärten „Frühlingsgefühle“ aus.
Geh – sag ma’s doch wie’s is und verstecken uns nicht hinter blumiger Lyrik. Gamsig. Schoaf. Geil. Das sind die Frühlingsgefühle, von denen in 85 % der Fälle die Rede ist. Alles andere wird nämlich mit „Ich freu mich, dass es endlich wärmer wird und alles blüht“ sehr konkret und oft auch in mehreren, deskriptiven Sätzen offengelegt. In diesem Sinne: Gebt Bescheid, wenn ich einen Bizeps angreifen darf. – Mit Gefühlen hat das aber nichts zu tun.

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