Haben wir nicht nur die Gene unserer Vorfahren „geerbt“, sondern auch deren Geschichte(n)? Dieser Frage geht Nadja Puttner von „Unicorn Art“ Ende Jänner im OFF Theater nach. Und das auf tanzende Art und Weise. Wir haben die Choreografin vorab gesprochen und spannende Antworten auf unsere Fragen bekommen, die nicht nur Gesellschaftspolitisches, sondern auch ganz persönliche Geschichten preisgeben.
Leben die Erinnerungen unserer Eltern und Großeltern unbewusst in uns weiter und beeinflussen unser Handeln? „Hiraeth – I carry someone else’s memory“ will vor allem eines: verdeutlichen, dass es die unausgesprochenen, verdrängten Dinge sind, die Einfluss auf die Psyche nehmen und nicht nur tatsächlich Erlebtes. So wird es immer wahrscheinlicher, dass schwerwiegende Traumata der Vorfahren auf biologischem Weg an die nachkommenden Generationen übertragen werden. Dies wiederum würde bedeuten, dass wir unbewusste, instinkthafte Ängste in uns haben und diese als scheinbar unüberwindbare Blockaden zum Ausdruck kommen.
Die Nachwirkungen des Nationalsozialismus auf die heutige Kunst
Choreografin Nadja Puttner hat sich keine einfache Thematik für ihr Tanztheaterstück ausgesucht. Die Auswahl des Themas kam dabei nicht von ungefähr, denn die Choreografin hat sich schon früh aufgrund persönlicher Erfahrungen damit auseinandergesetzt. „Ich habe mich immer extrem hingezogen gefühlt zu allem, was mit dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit des Nationalsozialismus zu tun hatte. Immer mit dem unheimlichen Gefühl, von den Schilderungen unmittelbar betroffen zu sein. Schon als Kind, lange bevor mir die Geschichte meiner Großeltern Franz und Herta Haderlap, die als Kärntner Slowenen im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv waren, so richtig bewusst war. Ich muss instinktiv gespürt haben, dass das etwas mit mir zu tun hat, ein wichtiger Teil von mir ist.“, klärt die Choreografin auf. Geholfen und beeinflusst haben sie dabei Bücher, Filme, Dokumentationen und Vorträge. Von Schindlers Liste bis hin zu Schriften von Viktor Frankl – je mehr Puttner darüber las, desto mehr spürte sie die Gefühle, die sie bereits als Kind prägten: Vertreibung, Entwurzelung, Trauer, Verfolgung und Verurteilung wegen ihrer Andersartigkeit. Je älter sie wurde, desto öfter hinterfragte sie die Herkunft dieser Gefühle.
Gefühle, Träume und Erinnerung, die gar nicht „die eigenen“ sind
Was danach folgte waren Recherchen, bei denen sie auf das Phänomen der transgenerationalen Übertragung von Traumata gestoßen ist. Auf einmal machten die Gefühle und Träume von Krieg und Bombardierung einen Sinn. Verarbeitete sie unbewusst die Erlebnisse ihrer Großeltern, von denen sie noch nichts wusste? „Ich las mich immer weiter in das Thema ein und stellte fest: Offenbar gibt es außer mir noch andere Menschen in ungefähr meinem Alter, die ähnlich empfinden wie ich. Das neu gewonnene Bewusstsein, dass ich mit meinen ‚unerklärlichen‘ Gefühlen, Träumen und Erinnerungen doch nicht alleine auf der Welt bin, hat in mir dann den Entschluss reifen lassen, ein Stück zu diesem Thema zu kreieren“, führt die Choreografin den Entstehungsprozess aus.
Tänzerische Vergangenheitsbewältigung
Auf der Bühne setzt Nadja Puttner das Stück gemeinsam mit Monika Schuberth und dem Kontrabassisten Edoardo Blandamura um. Der Schauspieler Fritz von Friedl hat es sich zudem nicht nehmen lassen am Stück mitzuwirken und die Regie zu übernehmen. Gemeinsam wurde das Werk nach dem Erhalt des Bank Austria Kunstpreises überarbeitet. „Choreografisch haben wir versucht, unsere Beobachtungen und Erfahrungen durch genaues körperliches Nachspüren in Bewegung umzusetzen: der Tanz drückt dabei aus, was nicht in Worte fassbar ist. Tanz und Musik haben sich dabei gegenseitig inspiriert und beeinflusst“, führt die Ideengeberin aus. Im Fokus stehen die Geschichten zweier Mädchen. Eine Fünfjährige die von Fliegeralarm und Bombenangriffen träumt. Ereignisse, die sie selbst nie erlebt hat. Erst Jahre danach erzählen ihre Großeltern von der Gefangenschaft als Widerstandskämpfer während des Zweiten Weltkrieges. Und sie erinnert sich an das Gefühl der Hilflosigkeit und des Eingesperrtseins, das sie ihr ganzes Leben lang nicht mehr loslassen wird.
Vergangenheit, die auch die Gesellschaftspolitik prägt
Ein anderes Mädchen beginnt bereits im Alter von sieben Jahren, sich bewusst vom Leben zurückzuziehen. Die Kälte innerhalb ihrer Familie hat sich auch in jungen Jahren schon auf das Kind übertragen, das sich mit einer Mauer des Schweigens umgibt. Ein Verhalten, das sich bis ins Erwachsenenalter nicht ändern wird. „Im Verstehen der Geschichte der eigenen Familie liegt für mich auch der Schlüssel zu einem besseren Verständnis über die Ereignisse der heutigen Zeit: die Geschichte(n) unserer Großeltern sollten uns daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit in unserer Heimat Krieg, Unterdrückung, Verfolgung und Flucht den Alltag geprägt haben. Das wiederum sollte es uns ermöglichen, mehr Empathie und Verstehen für z.B. die Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen zu entwickeln. Außerdem sollte uns das Schicksal unserer Vorfahren mit ihren nicht überwundenen Traumata lehren, dass man einfach alles tun sollte, um Krieg zu verhindern… und das beginnt für mich in einem friedlichen Miteinander der unterschiedlichen Menschen in meinem Umfeld.“, klärt die Choreografin über die gesellschaftspolitische Relevanz des Stücks auf.
Biologische Übertragung schwerwiegender Traumata
Das politische Geschehen weltweit bestärkte Nadja Puttner in ihrem Tun und der starken Bedeutung des Inhalts. Denn für sie sind die Erinnerungen der älteren Generationen nicht nur lehrreich für die Nachkommen, sondern können auch ein Anstoß sein, die eigene Existenz zu reflektieren. „Meine Conclusio nach Bearbeitung des Stoffes: ich begreife mehr als je zuvor, dass ich großes Glück hatte, in ein friedliches, wirtschaftlich stabiles Europa geboren zu werden. Andererseits gestehe ich mir auch zu, dass ich auf psychischer Ebene von den traumatischen Erlebnissen meiner Großeltern belastet bin und daher nicht immer nur glücklich und positiv und erfolgreich sein kann“, schließt Nadja Puttner ab.
Neugierig geworden? An drei Terminen könnt ihr das Stück im „Das OFF Theater“ bestaunen. Schaut morgen auch bei uns auf Facebook vorbei – wir verlosen 1×2 Karten für die Premiere.
„Hiraeth – I carry someone else’s memory“
Termine: 23., 24., 25. Jänner 2018 – 20.00 Uhr bis 21.30
Ort: Das OFF Theater
Kirchengasse 41
1070 Wien
Weitere Informationen: www.unicornart.at
Fotocredits: Ingrid Chladek/UNICORN ART
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