Es ist wieder Zeit für ein Portrait im Zuge unserer Kooperation mit social attitude. Heute steht bei uns Roswitha Zink im Fokus. Mit ihrem Verein e.motion – Equotherapie hilft sie Kindern und Jugendlichen und ihren Familien in schwierigen Lebenslagen.
Zuhause auf Zeit
Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen mit Hilfe von Tieren zu helfen. Das war das Ziel von vier Frauen vor mehr als 15 Jahren. Im Jahr 2001 haben sie auch gleich Nägel mit Köpfen gemacht und den Verein e.motion ins Leben gerufen. „Wir wollten einen Ort schaffen, in dem Kinder und Jugendliche in akuten Krisen ein bisschen sowas wie ein Zuhause auf Zeit finden“ , fasst Roswitha Zink das Ziel zusammen. Zuhause auf Zeit bedeutet hier am Hof Bezogenheit spüren, gebraucht und gemocht werden, bis man wieder auf die Beine kommt. Das bedeutet neben dem medizinischen Ansatz vor allem von der Natur und den Tieren zu lernen und heilsame Beziehungen einzugehen.
Körper und Seele als Einheit
Vor allem Kinder und Jugendliche mit schwerer körperlicher Erkrankung und deren Geschwister und Eltern finden ihren Weg auf den e.motion-Hof. „Generell ist es so, dass Tiere und die Natur Körper und Seele als Einheit sehen. Das ist uns auch sehr wichtig. Eines der wichtigsten Dinge bei uns ist – egal welche Diagnose du hast – es geht ums Leben, ums Zurück-ins-Leben-Finden und Am-Leben-teilhaben-Dürfen. Ums Staunen und Spüren und auch die Wahrhaftigkeit, dem Tod ins Auge zu sehen“ Viele der Jugendlichen und Kinder sind selbst todkrank oder sehen sich mit dem Tod eines nahen Verwandten konfrontiert. Die Tiere und auch die Abläufe am Bauernhof halten dieser Konfrontation mit dem Tod Stand, der Rhythmus der Tage und der Natur vermittelt Konstanz.
„Pferde helfen, das Leben mit dem nötigen Respekt und Vorsicht anzugehen.“
„Das Zusammenhelfen und die Gemeinschaft gibt den Kindern unglaublich viel Halt. Zu spüren, dass es einen Unterschied macht, was ich tue, ob ich mithelfe oder nicht, dass das für die Welt ein wesentlicher Beitrag ist, ob sie bestehen kann oder nicht. Gerade in einer digitalisierten Welt, wo es so wenig Unterschied macht, ob es den einzelnen gibt, wo das gar nicht so spürbar für die Kinder ist, wie wichtig ihr Wollen und Können ist.“ Spürbar wird es für die Kinder in der Zusammenarbeit mit den Pferden. Die Pferde am Hof sind so genannte „Lebensweisheitsüberbringer“ und haben oft selbst schon einiges mitgemacht. Alle Tiere wurden aus prekären Lebenslagen gerettet und dürfen nun ihren Alltag auf dem e.motion-Hof verbringen. Schwierige Lebenslagen zu meistern, damit kennen sie sich also aus. Außerdem sind sie Profis darin, Körpersprache und Emotionen in Bewegung umzusetzen, und können den Tonus von Menschen normalisieren. Doch auch auf der emotionalen Ebene leisten sie ganze Arbeit, klärt uns Roswitha Zink auf. Pferde sind Tiere, die die Balance zwischen Angst und Vertrauen vermitteln können. „Pferde helfen, das Leben mit dem nötigen Respekt und Vorsicht anzugehen, aber doch mit einer großen Kraft und Zuversicht. Und das braucht man jeden Tag – das Leben ist sehr herausfordernd und gerade bei Kindern, deren Lebenslinie nicht linear verläuft im Speziellen.“
Liebe, Vertrauen und Achtung als Schlüssel zum Erfolg
Bei ihrer Arbeit sind die Pferde, obwohl sie sehr frei und selbstbestimmt arbeiten, aber natürlich nicht alleine. Jedes Pferd hat einen Betreuer, der seine Bezugsperson ist. Sie sind so genannte Herztiere und haben eine ehrliche und wahrhaftige Bindung zu Menschen. Das Einbetten in die Familie ist hier bei e.motion besonders wichtig. Das bemerkt man als Außenstehender, wenn man die Therapeuten in ihrer Interaktion mit den Pferden beobachtet. Hier ist viel Liebe, Vertrauen und Achtung im gegenseitigen Umgang zu spüren. Sowohl Mensch als auch Tier üben hier einen sozialen Beruf aus, der es verlangt, sich selbst zurückstellen zu können, gerne dienlich zu sein und sich über Kommunikation und Interaktion zu freuen. Dazu bedarf es intensiver Arbeit – die Betreuerinnen müssen Pferde finden, die dieser Anspruch glücklich macht, herausfinden, was bei dem Pferd Stress verursacht und welche Pferde mit der großen Verantwortung, die man ihnen überträgt, zurechtkommen. Dafür sind sie in einer dreijährigen Ausbildung und trainieren mehrmals die Woche. Dann sind sie bereit, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Gemeinsam betreuen die insgesamt zwölf Therapeuten 300 Kinder in der Woche und 500 Kinder im Jahr. Diese bleiben ein bis zwei Jahre, manchmal auch länger.
„Reiten kann einem viel Würde und Stolz zurückgeben“
Wie die Arbeit mit den Tieren dann konkret aussieht, wird individuell an Kind und Familie angepasst. So unterschiedlich, wie die Menschen sind, so ist auch das Angebot. Denn jedem hilft etwas anderes. Kuchen backen. Im Stroh liegen. Regen auf dem Dach prasseln hören. Anrufen können, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt. Oder reiten. Jedes Kind braucht etwas anderes und das bekommt es hier bei e.motion auch. „Wenn einen das Leben vor so schwierige Herausforderungen stellt, hat das viel mit Demütigung zu tun, vom Schicksal, vom Freundeskreis, von der Gesellschaft. Es geht um stark, schön, schlank, reich, dynamisch sein – das sind Attribute, die biologisch Sinn machen und die jeder anstrebt. Wenn ich vom Leben gezwungen werde, dass ich diese nicht anstreben kann, dann ist das eine vernichtende Gesamtsituation. Das Zusammenwirken mit Pferden in ihrer Größe und ihrer freundlichen Gelassenheit kann viel gesund machen, es fördert sanft und unaufdringlich körperliche Fähigkeiten, gleicht seelische Not aus und wie kein anderer Therapeut können Pferde Würde zurückgeben. Ich kann was, ich werde gebraucht und bin wertvoll für jemanden, auch wenn ich krank oder in Not bin.“
„Kindern hilft das Machen. Etwas Sinnvolles für andere zu tun, hebt die Ohnmacht auf!“
Etwas lernen alle Kinder hier: Geduld und Disziplin. „Kein Mensch und kein Tier mag Disziplin, es braucht immer Außenstressoren. Mit Pferden hat man mehr Motivation und eine Triebfeder – man sieht mehr Sinn darin, sich in Geduld und Disziplin zu üben. Biologie lehrt einen die Kunst der kleinen Schritte. Solange Kinder am Leben sind, am Leben teilhaben und dabei sein dürfen, ist eine irre Motivation da, sich auch körperlich anzustrengen, denn es macht Sinn, für Pferde Essen herzurichten und es macht Sinn, sich für ein Pferd zu verändern. Es ist schöner, etwas für andere zu tun, als nur für sich. Zu erfahren, was für ein großes Glück in diesem über sich hinausreichenden Können liegt, ist sehr erfahrbar in der Arbeit mit Tieren. Für viele Kinder ist es die Zeit mit den Tieren, worauf sie sich die ganze Woche freuen, und manchmal reicht das auch als Grund, am Leben zu bleiben.“
„Ich liebe meinen Beruf aus tiefster Seele“
Leben kann keiner der Therapeuten von der Arbeit am Hof. Der Verein wird über Spendengelder und Förderungen am Leben erhalten. Durch die enorme Motivation, das Engagement und die Kraft, die hier alle hineinstecken, wird jedes Jahr aufs Neue durchgestartet. Doch was motiviert einen, jeden Tag wieder Vollgas zu geben? „Es motivieren mich die Kinder, die Tiere und die bezaubernden Momente, die man erleben darf, wenn man Beziehung lebt. Ich liebe meinen Beruf aus tiefster Seele und ich liebe die Kinder und Jugendlichen, die hier herkommen und mit mir meine Lebenszeit teilen. Es erfüllt mich mit Stolz zu sehen, wie sie sich entwickeln und im Leben stehen. Wenn man dabei sein darf, jemandem nahe sein, sein Vertrauen verdienen darf und jemandem dienlich sein kann, das ist ein unglaublich schönes Gefühl, das mir sehr wertvoll ist. Das ist meine größte Motivation: Am Leben zu sein, in diese Verantwortlichkeit eingebunden zu sein, ins Leben und in die Welt.“
„Den Wind von der falschen Seite wahrnehmen, Schal umwickeln und Richtung wechseln!“
Doch so sehr Roswitha Zink ihren Beruf liebt, leicht ist er nicht immer. Denn jeden Tag sehen alle Therapeuten sehr viel Leid. „Ja, wir sind mit sehr viel Leid konfrontiert, aber auch mit sehr viel Tiefe und Dankbarkeit. Vielleicht ist es gerade so, dass wir umso mehr üben müssen, dass der Wind auch „von der richtigen Seite weht“. Wir haben einen Buben, der uns diesen Sommer gelehrt hat, dass es ein Leichtes ist zu spüren, wenn der Wind von der falschen Seite weht, und dass es ziemlich schwer ist zu bemerken, wenn er von der richtigen Seite weht. Deswegen müssen wir üben, das Schöne und Positive zu sehen. Das Geheimnis ist, dass es wahnsinnig schwer ist, aber auch wichtig, berührbar zu bleiben, und dass es wichtig ist, traurig zu sein. Unsere Welt ist endlich und besteht eben auch aus sehr viel schmerzenden Dingen“ Beim Ertragen dieser Schmerzen helfen die Tiere, denn sie sind sehr humorvoll und leben im Hier und Jetzt. Sie lehren einen, den Zauber des Moments zu sehen und über Schwermut hinwegzukommen, die noch nicht angebracht ist. Eine Regel hier am Hof, die von einem Vater geprägt wurde: „Es wird erst geheult, wenn man die Watsch‘n bekommen hat.“ Sich selbst zu disziplinieren, die Trauer nicht vorwegzunehmen, sondern zu genießen, was ist, und erst traurig zu sein, wenn es nicht mehr ist. Das wird hier am Hof gelebt. Doch Roswitha Zink betont, dass es auch nach Jahren nicht leicht ist, mit dem Leid umzugehen. Das soll es auch nie werden.
Lebensdisziplin durch Hofarbeit
Dass sie einmal ein eigenes Projekt ins Leben rufen will, war Roswitha Zink schon früh klar. Genauer gesagt, seit sie zwölf Jahre alt war. Dieser Drang hat ihr Leben, ihre Ausbildung und ihre Praktika geprägt. „Ich bin sehr liebevoll und geborgen aufgewachsen und habe sehr viel Kontakt mit Tieren und der Natur haben dürfen. Ich habe damals schon gesagt: Ich habe so viel Liebe und Wärme bekommen und ich möchte das wieder verteilen und es vielen Menschen zukommen lassen.“ Natürlich konnte sie sich damals noch nicht vorstellen, wie viel Herausforderung es bedeutet, einen Hof zu gründen und zu erhalten, erzählt sie uns lachend. Gemeinsam mit ihrem Team und vielen Ehrenamtlichen, die hier mithelfen, wird täglich an der Erhaltung des Hofes gearbeitet. Das Herzblut, das hier drinsteckt, bemerkt man nicht nur am Umgang miteinander und den Tieren, sondern auch an den vielen Zeichnungen der Kinder, den liebevoll gestalteten Schildern und der Gastfreundschaft, die wir erfahren dürfen. Die Arbeit am Hof diszipliniert. Um 7 Uhr wird gemeinsam in den Tag gestartet. Die Pferde werden gefüttert. Der Stall ausgemistet. Geputzt. Der Tag wird vorbereitet. Die ersten Kinder kommen an. Mittags wird gemeinsam gekocht. Und am Nachmittag wimmelt es am Hof nur so von Kindern, Jugendlichen und Therapeuten, bis dann um 22 Uhr die Lichter abgedreht werden, alles geputzt wird und Ruhe am Hof einkehrt.
„Das Wichtigste ist mir, dass immer was geht!“
„Mein Ziel ist, niemals aufzugeben, und das, was ich den Kindern mitgebe, dass man das Licht lenkt, um den Schatten zu gebieten, einfach selber in meinem Leben zu schaffen. Weiterhin diesen Ort und diese Möglichkeit für Kinder zu erhalten, das wäre mir das größte Ziel, und weiterhin Menschen zu begeistern, die hier mithelfen, und so ein großartiges und kräftigendes Team zu haben, das an einem Strang zieht den Schatten von den Kinderseelen zu zaubern.“ Sie hofft auch, dass es irgendwann einmal ein Beruf sein wird, von dem man leben kann. Zumindest die kommenden Generationen.
Discussion
Leave a reply