Älter werden wir alle. Es ist die Einstellung, die zählt. Einmal mehr sind sich Hannah und Marlene meinungstechnisch nicht einig. – Wer dem Altern gelassen entgegenblickt und wer schon jetzt verzweifelte Sorgenfalten wirft, erfahrt ihr in der heutigen Ausgabe unseres Worts am Sonntag.
Pro: Hannah – von der Einheit von Körper und Geist!
Viele Menschen haben ein Problem mit dem älter werden. Ich gehöre nicht dazu. Warum? Weil es schlicht und einfach nichts bringt. Wenn ich mir beginnen würde Sorgen aufgrund meines Alters und den dazugehörenden Erwartungen der Gesellschaft zu machen, dann könnte ich mir gleich die Kugel geben. Ich bin bald 27. Ich habe keine Beziehung. Keine in Aussicht und auch keinen Stress bezüglich Heiraten und Kinder kriegen. Hui. Meine biologische Uhr höre ich auch nicht ticken. Noch nicht. Vielleicht kommt das ja noch. Mein Studium ist jetzt erst in den finalen Zügen, aber auch hier mache ich mir keine „Vorwürfe“. Es gab Gründe dafür, wieso mein wissenschaftliches Schaffen gelitten hat. Ich kenne sie und auch nur ich muss mich vor mir selber deswegen rechtfertigen.
Mit 26 geht man ja in großen Schritten auf die 30 zu. 30, die böse Zahl. Warum sich alle so auf das Alter 30 fokussieren, ist mir ein Rätsel. Ich freu mich auf meinen 30er und meinen 31er und 40er. Alt werden ist was Tolles. Mit jedem Lebensjahr, auch wenn es noch so schwierig war, wird man schließlich g’scheiter. Versuche ich mir zumindest einzureden. Und man wird faltiger. Das ist auch gut so. Ich finde, man darf den Menschen das Leben ruhig ansehen. Vielleicht seh‘ ich das mit dem Alter auch nur so locker, weil ich ein gewisses Vertrauen in die Redensart „Alles wird gut“ habe. Es kommt schon alles so wie es kommen soll. Vielleicht ist es aber auch eine gewisse Wurschtigkeit dem Leben gegenüber. Will ich Karriere machen? Jo, schon. Will ich heiraten? Vorstellbar. Will ich Kinder? Keine Ahnung. Ich mag den Gedanken zu heiraten, Kinder zu bekommen und mir ein kleines Nest zu schaffen. Ich mag aber auch den Gedanken nicht zu heiraten, keine Kinder zu bekommen und immer unterwegs zu sein. Beide Versionen und alles, was dazwischen liegt, ist mir recht. Es kommt wie es kommt. Ich lasse mir nicht von der Gesellschaft sagen, wann es angebracht wäre sesshaft zu werden, eine Familie zu gründen und ab wann ich ein verlorener Fall bin. Das sollte sich niemand sagen lassen. Auch nicht von sich selbst. Zu starre Vorstellungen über was man in welchem Alter erreicht haben MUSS, machen einen nur kaputt.
Warum sollte ich mir Druck machen, wann ich g’scheiter & faltiger werde, heirate oder mit welchem Alter ich mir meine Träume erfülle? Ich bin 26 – ich habe noch mein Leben lang Zeit mich zu verlieben, zu heiraten, ein Buch zu schreiben und meine eigene Firma zu gründen. Ich sehe mich schon als runzelige Frau vorm Traualtar stehen, dabei zu meinen Lieblingsliedern tanzen und mit 70 Jahren ein Startup gründen. Gut, Kinder kriegen werde ich nicht ewig können. Macht aber wie gesagt auch nichts.
Wenn ich meinen Opa betrachte, der bis halb sieben in der Früh bastelt und mir euphorisch erzählt, dass seine Tage zu wenig Stunden haben, blicke ich mit wohligem Blick aufs Alter. Ja, ich will mit 88 auch so viele Hobbies haben, dass ich bis in die Morgenstunden wach bleibe, weil ich vergesse schlafen zu gehen. Vielleicht freue ich mich aber auch nur deswegen darauf, weil mein Geist und mein Körper dann endlich eine Einheit bilden. Ich zitiere gerne eine mir nahestehende Person: „Hannah, du bist eine 85-Jährige, gefangen im Körper einer 26-Jährigen.“ Hach ja – Pension, here we go.
Contra: Marlene – eine tickende Zeitbombe
Älter werden. Allein dieses „werden“ lässt bei mir die
Alarmglocken schrillen. Denn es impliziert, dass es eine Entwicklung ist, die Zeit eines Lebens nicht mehr aufhört. Man IST jung. Und man IST tot. Dazwischen wird man älter.
Irgendwann kommt nämlich die Zeit, in der man es nicht mehr als Beleidigung, sondern als größtes Kompliment ansieht, wenn man in der Trafik gefragt wird, ob man eh schon alt genug ist, um Zigaretten zu kaufen. Vor allem, wenn man zehn Jahre älter ist. Versteht mich nicht falsch, ich habe mit dem theoretischen Konzept des Alterns kein Problem. Nur mit dem Praktischen. Das Theoretische bringt nämlich anzustrebende Qualitäten mit sich, wie eine gewisse Gelassenheit und die Einsicht, dass alle nur mit Wasser kochen. Das Praktische Falten und Knieschmerzen.
Es ist nur ein kleiner Lebensslot zwischen der Freude des Teenagersorgenentwachsenseins und einer Mid Life Crisis. Denn kaum ist man in der Hochzeit seines Lebens, beginnen die Freunde, die – so scheint es zumindest – immer schon alles richtig gemacht haben, zu heiraten, Kinder zu kriegen oder tragen maßgeschneiderte Anzüge und Pencil Skirts (die Uniform der gut Verdienenden) und haben neben Diensthandy auch Dienstwagen, und nicht zuletzt diese gestriegelte Aura einer wohltemperiert gestressten Sinnhaftigkeit des Tuns.
Das obligatorische „Was machst du jetzt eigentlich?“, das im besten Fall mit einer viel zu langen Abkürzung eines verbalen CVs beantwortet werden soll, der drei Studien, fünf Auslandsaufenthalte, ein Forschungsprojekt und dann diesen kleinen verheißungsvollen Einlenker zum den weiteren Lebensabschnitt finanzierenden, soliden Beruf mit Visitenkarten enthalten soll, wird zum steckengebliebenen Dorn im Auge, der mit einem lieb gemeinten „Du findest auch noch deinen Weg“ weiter in den Nerv hineingeschoben wird.
Auch Sport ist nicht mehr etwas, das in der Schulzeit nur übermotivierte Sunny Boys und die ohnehin unsympathisch perfekten Girls betreiben. Er wird zum viel zu späten und ausschlaggebenden letzten Versuch, Schäden einzudämmen, die Knie- und Schulterschmerzen, die lange Zeit ignoriert wurden zu lindern, die verbaute Hüfte zu lockern und die Quasimodohaltung, von der man sich dachte „Solange die Mama nichts sagt, ist es nicht so schlimm!“ zu korrigieren.
Und während man selbstverständlich Unbequemes wie Geschirr abwaschen, Wohnung putzen, Lebensmittel bersorgen und Miete zahlen muss, tickt im Hinterkopf die Zeitbombe mit der offenen Entschärfungsfrage: Was willst du in diesem Leben erreichen? – Heiraten und Kinder kriegen, reisen und die Welt sehen, höhere Ausbildung und Karriere oder einfach in den Tag hineinleben und am Ende des Lebens eventuell bereuen. Das sehe zumindest ich als grausames Multiple Choice-Modell aus meinem Hinterhirn aufpoppen.
Und dann denke ich zurück an meine Kindheit, als ich im Gras im Garten saß, Insekten, Vögel und Blumen beobachtend, (weil auf ORF1 und ORF2 wurde gerade nichts Interessantes gegeben und von elektronischem Spielzeug noch weit und breit keine Sicht), und mir wünschte erwachsen zu sein und tun und nicht lassen zu müssen, was mir gerade in den Sinn kam. Schon damals fühlte ich jedoch im Hintergrund den Anklang eines Weltschmerzes, den man als Kind nicht deuten kann. Tja.
An einer Hoffnung aber halte ich fest. Ich sehe nämlich ein Bild deutlich vor mir, als könnte ich durch ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum sneakpeaken: Mein älteres Ich, mit weißem Strohhaar im Schaukelstuhl wippend, die jungspundigen Kolumnen meiner selbst lesen, mit einem gekräuselten Lächeln um die Lippen, das zumal in ein dezentes, den Mund nicht öffnendes, wissendes Lachen exaltiert. Und das mit Freundlichkeit und Liebe für diese dann bereits Jahrzehnte zurückliegende Situation, und für mich, die ich es damals noch nicht besser wissen konnte und doch „meinen Weg gefunden habe“. Einen schönen, der mir erlaubt, friedlich im Schaukelstuhl zu wippen, weil ich das Leben in seinem geregelten Chaos gelebt habe und einfach nichts zu bereuen hab.
Aber wie der Wiener so schön sagt: Schau ma mal.
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