Wort-am-Sonntag-rosa

Neues Jahr, neue Chance, neues Wort am Sonntag! Ausmisten ist diesmal das Thema, das Hannah und Marlene beschäftigt. Dass Schuhe dabei eine zentrale Rolle spielen, war wohl zu erahnen. Wer freien Herzens gibt und wer sich in der Urzeit-Rolle der Sammlerin wiederfindet – man darf gespannt sein!

Pro: Hannah – von zerlöcherten Jeans und der Emotionalisierung von Materiellem

Ausmisten und ich. Das sind zwei Paar Schuhe, die Hannaheigentlich nicht zusammenpassen. Ich bin ein emotionaler Messie. Ich hebe alles auf, zu dem ich in irgendeiner Art und Weise eine Bindung habe. Sei es eine Tasche, die ich in einem bestimmten Urlaub getragen habe, Jeans, die mehr aus Löchern als aus Stoff bestehen, aber bei einem besonders ereignisreichen Festival getragen wurden, oder Geschenke aus der Schulzeit – ich hebe es auf. Alles. Der aufmerksame Leser wird sich jetzt fragen, wieso ich dann das „Pro“ in diesem Wort am Sonntag übernommen habe. Ganz einfach. Weil ich diese zwei nicht zusammenpassenden Paar Schuhe im wahrsten Sinne des Wortes einfach weggeworfen habe.

Wobei „wegwerfen“ nur im bildlichen Sinne der Wahrheit entspricht – im eigentlichen habe ich die Sachen gespendet. Ein strukturiertes Leben wohnt in einem strukturierten Heim. Das habe ich mir vergangenen Sonntag eingebildet und mich nach wenigen Minuten in Bergen von Schuhen und Taschen wiedergefunden. Das Chaos muss erst schlimmer werden, bevor es besser werden kann, hat man mir gesagt. Vielleicht war es das bevorstehende Ende des Jahres oder der Auszug aus der Wohnung in wenigen Monaten. Aber ich war motiviert. Sehr motiviert. Und so habe ich beschlossen den jährlichen Großputz mit einer Entrümpelungsaktion zu kombinieren. Diese Aktionen endeten in der Vergangenheit oft mit „Nein, dieses Paar Schuhe muss ich aufheben, die hatte ich am Beatsteakskonzert 2009 an“ und waren, wie sich erahnen lässt, wenig erfolgreich.

Nachdem im September dann aber mein halber Kleiderkasten daran glauben musste, war vergangenes Wochenende mein Schuh- und Taschenschrank an der Reihe. Und ich muss eines sagen: Ich bin stolz auf mich. So stolz, dass davor, währenddessen und danach Familie und Freunde quasi im Live-Ticker dabei sein durften. (Entschuldigung dafür. ;)) Tu Gutes und rede darüber – oder wie war das noch einmal? Was im vergangenen Jahr nicht oder nur einmal getragen wurde, musste gehen. Aber um ein wenig Ernsthaftigkeit reinzubringen: Schon im Sommer war die Flüchtlingssituation mein größter Entrümpelungsmotivator. So wurde alles, was als sinnvoll und von den Organisationen als dringend gesucht angegeben wurde, gespendet. Gerne hätte ich auch emotional bedeutungsvolle Dinge gespendet. Ich musste mir aber leider eingestehen, dass Menschen die den tieferen Sinn eines meiner Kleidungsstücke nicht kennen, über eine löchrige Jeans wahrscheinlich eher verärgert als erfreut sein werden. Gott sei Dank ist die Mehrheit meiner Garderobe nicht zerlöchert. Der Gedanke, dass etwas, das bei mir nur im Kasten rumliegt jemandem anderen eine Freude bereitet oder sogar lebensnotwendig ist, hat meine Entrümpelungshand locker gemacht. Und nicht nur meine: Die komplette Familie und Freunde haben sich angeschlossen. So war es auch an diesem Wochenende, an dem ich frohen Mutes 30 Taschen und 15 Paar Schuhe auf Wiedersehen gesagt habe. Und abgesehen davon, dass man damit etwas Gutes für andere tun kann, es tut auch der eigenen Seele gut und wird im Jahr 2016 fortgesetzt – alles was nicht mehr gebraucht wird, fliegt raus. Gott sei Dank habe ich noch etwa drei Kommoden und unzählige Schubladen, die nur darauf warten geleert zu werden. 2016, here we go.

Contra: Marlene – von gegenständlichen Erinnerungen und der Ungewissheit des zukünftigen Gebrauchs

MarleneDas neue Jahr hat sich angeschlichen und eine Welle der angestrebten Läuterung bricht über viele von uns herein. Ob in sich oder um sich – jetzt wird wieder aufgeräumt! An sich eine großartige Idee, nur: Ich bin eine Sammlerin. Der Stein, dem ich im Sommer im glitzernden Bodensee die Origo der Schönheit unterstellt habe, hat in meiner Wohnung ebenso seine Daseinsberechtigung wie eine Zeichnung eines Schulkollegen aus dem BE-Unterricht der AHS, die ich vor dem Mistkübel gerettet habe – selbst wenn ich den Stein nicht von den auf Kreta gesammelten unterscheiden kann und schon lange nicht mehr weiß, wer der Schulkollege war. Natürlich ist der psychologische Mechanismus dahinter schnell aufgedeckt. Ich sammle Erinnerungstrigger. Ich versuche also, die glücklichen Momente meines Lebens in Dingen, die bei mir entweder in der Betrachtung oder in der gedanklich losen Koppelung an freudendurchweichte Seinszustände eine vergangene, geliebte Emotion auslösen, zu konservieren. Klar, es ginge auch einfacher. Den Schatz des Lebens in sich zu tragen und aus sich selbst zu schöpfen wäre das Ideal und weniger Arbeit beim Abstauben. Aber bis dahin horte ich Erinnerungsanker, die mir helfen, mich bei Bedarf zu vergegenwärtigen, dass das Leben unberechenbar schön sein kann, wenn man sich darauf einlässt.

Natürlich gehören die leidige Dokumentenmappe, alte Arbeitsunterlagen und die Rechnung der Thermenwartung nicht dazu. Aber vielleicht brauche ich sie noch einmal. Dieser Satz ist wahrscheinlich der wahre und unverklärtere Antrieb meiner Anlage zum Verstauen. Kaum habe ich mich überwunden und mich fünf Schuhpaaren entledigt, die zwar schön zum Anschauen, aber für meinen pragmatischen Es-könnte-ja-sein-dass-ich-der-Straßenbahn-nachlaufen-muss-Ansatz die meiste Zeit ungeeignet sind, sammeln sich Umstände in magischer Weise, die mich denken lassen: „Genau jetzt bräuchte ich diese Schuhe!“ Perfekt würden sie zu Anlass und Outfit passen. Und ich hatte sie bereits. Dieser nachgezogene Mangel ist ein Hund. Obwohl es nur im eigenen Kopf einen Unterschied macht. Denn in Wahrheit sind wir alle viel zu sehr mit uns selbst und unseren Alltagsproblemen beschäftigt, als dass jemand anderer sich um unsere nicht (mehr) existenten Alternativschuhe Gedanken machen würde.

Wenn dann aber Kompositionen des Großvaters und Aufzeichnungen der ewig schreibenden Großmutter nach deren Tod als Auslagerung ihres einzigartigen Seins und Wirkens greifbar sind und nur einen Funken des Menschens in der Rezeption in einem selbst wiederbeleben, dann muss ich sagen, hat sich das Nicht-Ausmisten ausgezahlt!
Letztlich gilt wie immer: Jedem das Seine. In letzter Zeit gehe ich nämlich nur noch mit einem Spruch hausieren, der mich überall hin begleitet: Man kann es nur sich selbst Recht machen. Und solange es keine gesetzlichen Regulierungen bzgl. eines jährlichen Kontingents an abzugebenden, ungenutzten Gütern gibt, werde ich dann Ausmisten, wenn mich der Rappel packt, dann einem irrelevanten Papierl nachweinen, wenn mich die Irratio ergreift und horten, was mich glücklich macht – selbst wenn ich es nur dann in die Hand nehme und mich freue, wenn ich gerade ausmiste.

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