Facebook spaltet die Gemüter. Grund genug für Marlene und Hannah sich dem Thema anzunehmen. Was für die eine ein fester Bestandteil des Lebens ist, bringt bei der anderen verborgenen Hass zum Vorschein.
PRO: MARLENE – von bildästhetischer Spielerei, geliebter Dummheit und Feindbildversammlung
„Hab‘ nur g’schaut.“ Für die eingefleischten Wiener Film-Fans eine Muttertagsparole, in diesem Kontext ein Facebooktypus von Mensch. Posten, liken, kommentieren oder eben nur schauen – so kennen und hasslieben wir unser soziales und teilweise asoziales Netzwerk, das zugegebenerweise manchmal mehr, machmal weniger Hirnverwertbares herzugeben hat.
Es kommt auf die Nutzung und den Benutzer an, statuierte bereits Marshall McLuhan bezüglich der alten neuen Medien, wie dem Radio, dem wir heute einen ähnlich selbstverständlichen Blick schenken wie der Türklinke, die sicherlich auch anno dazumal Hoch-Zeit der innovativen Massenanerkennung feierte. Kurzum, in diesem Fall kommt es auf mich an. Und Facebook ist ein Teil meines Lebens, wie es für andere Menschen das Frühstück ist. (Apropos: Wichtigste Mahlzeit des Tages? Seriously? Das halte ich für ein Gerücht und möchte dies bei Gelegenheit wortamsonntagisieren.)
Facebook ist für mich wort- und bildästhetische Spielerei, geliebte Dummheit, Feindbildversammlung, in der ich mich über die selbstdarstellungsüberzogenen Abziehbilder der Zeit echauffieren kann, schnellstes Nachrichtenforum, (wenn auch nicht immer den globalen sozioökonomischen und politischen Geschehnissen gewidmet, dafür weiß ich immerhin immer sofort, welcher Schauspieler in Peace resten soll, ohne die „Heute“ berühren zu müssen, die in der Früh meist bereitwillig auf einem U-Bahn Sitzplatz liegt und kurz darauf unter meinem Hintern metaphorös ihren Zweck erfüllt), und nicht zuletzt Selbstverwirklichungstool & -schwimmbecken, in dem auch dieser Gedankenabriss dahintreibt wie ein abgelöstes Pflaster im kollektiv sonnengecremten Sommernass.
Für mich personlich gilt „Hier bin ich Mensch, hier poste ich rein“: Kunst, halblustige Wortspielereien (siehe Satzbeginn), skurrile Fotografien oder auch mal eine Schildkröte, der bei der Paarung Geräusche entgleiten, die einer Comicfigur gleichen, die mit Hingabe sucht, die Orgasmusszene in Harry & Sally nachzustellen (– die wahre Fasziniation macht für mich weiterhin aus, wie diese helmgeformten, körperüberstülpenden Panzer beim Kopulieren nicht massivst im Weg sind; werde recherchieren).
Auf Facebook tummeln sich jedenfalls Gesichter aus aller Welt, weshalb es auch als Kommunikations-, Vernetzungs- und Öffentlichkeitsplattform funktionabel nicht zu unterschätzen ist. Promis, B-/C-/D-/E-/F- bis W-Promis (=Willsogernaberbinkein-Promi) dürfen sich ihre eigene Fanseite basteln und sich wichtig fühlen und wieder andere bleiben mit ihrer Brasilienaffäre von 2003 in Kontakt (der nächste Urlaub kommt bestimmt).
Und eines weiß man heute von fast jedem, ungefragt: Den Geburtstag. Das vereinfacht vieles. Musste man früher erst den Kalender zur Hand nehmen oder sein Gehirn regelmäßig nach (Geburts-)Daten abmartern, weiß man heute sogar, wann die Volksschullehrerin des Bruders das Altern feiert und kann sich mit einem unverbindlich höflichen „Alles Gute“ in die Riege der Facebook-Gratulanten einreihen oder ein freshes „HBD“ (=Happy Birthday) droppen.
Wie man es auch dreht: Facebook ist ein Bilderbuchbrettspielchat mit Unterhaltungswert für Lebewesen von 1-99. Und wenn man nur schaut. Dann hat man wenigstens was g’sehn.
CONTRA: HANNAH – von Müttern, Urlaubsfotos und Pärchen auf Facebook
Mit Facebook ist das ja so eine Sache. Segen und Fluch zugleich. Ich gebe zu, ich liebe es, mich durch Facebook zu scrollen, Menschen zu stalken und wenn ich ehrlich bin, wäre ich mit vielen Schulkollegen auch nicht mehr in Kontakt, gäbe es da nicht Facebook. Aber vieles treibt mich auch in den Wahnsinn. Nämlich sprichwörtlich. Nein, es interessiert mich nicht, wie viele Kilometer du heute schon gelaufen bist! Nein, es interessiert mich auch nicht, dass dein Zahnarzt deinen Kiefer für spitze befunden hat. Nein, es interessiert mich auch nicht, alle zehn Minuten ein total süßes Bild von deinem Kind zu sehen – wahlweise werden Kinder auch gerne gegen Haustiere getauscht! Die Rechte am eigenen Bild jetzt mal komplett ausgeblendet. Und nein, es interessiert mich nicht, liebe Pärchen, wie unglaublich ihr euch liebt! (Besonders interessiert es mich nicht, wenn ihr Beziehungskrisen auf Facebook auslebt!!!!) Und schon gar nicht interessieren mich eure Weisheiten à la „Don’t dream your life, live your dream“. Dass ich alle Menschen verachte, die Fotos von Traumurlauben posten, sei hier nur am Rande erwähnt.
Keine Frage – ich gönne den Läufern ihren athletische Figur, den braven Zähneputzern ihr Gebiss, ich gönne auch den Müttern ihre bezaubernden Kinder, ab und zu gönne ich sogar Pärchen ihre unfassbar tiefe Liebe und die Weisheit, die ihr scheinbar alle mit Löffeln gefressen habt, gönne ich euch natürlich auch. Traumurlaube, bei denen ich nicht dabei bin hingegen gönne ich niemandem. Ausnahmslos. Vielleicht ist es die Weisheit des Alters, aber ich verstehe diesen Drang nach Exhibitionismus nicht. Klar, ich habe auch schon Urlaubsfotos gepostet, ich kann mich auch an Babyfotos erfreuen und wahrscheinlich wäre meine Passion für’s Stalken stark begrenzt, wenn es nicht so viele exhibitionistischen Mitmenschen geben würde. Aber: Alles teilen. Alle an allem teilhaben lassen. Alle fünf Minuten etwas posten. Dafür dann hoffentlich viele Likes bekommen. Das versteh‘ ich nicht. Sind die Erfahrungen weniger schön oder wert, wenn es nicht die ganze Welt weiß?
Anstatt tiefgründige Weisheiten auf Facebook zu teilen, sollte man diese doch lieber mal leben. Aber vielleicht ist es auch der Drang nach Anerkennung, vielleicht ist der Urlaub noch schöner, wenn man weiß, jemand in Wien (ICH) ärgert sich darüber, nicht auch dort zu sein.
Wobei jetzt, wo ich mich gedanklich so viel damit befasse, stellt sich die Frage, ob es jemanden interessiert, was meine Lebensweisheiten sind? Wo ich Urlaub mache? Oder wie lange ich regungslos auf der Couch sitzen und Popcorn essen kann? Bin ich vielleicht nicht cool und schön genug, um es anderen aufdrängen zu wollen? Werde darüber nachdenken. Vielleicht gründe ich auch eine Whats-App Gruppe, um darüber zu diskutieren und ein Foto meines nachdenklichen Gesichts zu posten. Dunkle Zeiten kommen auf euch zu. In diesem Sinne nehme ich mich mit einem selbstkritischen: Leben und leben lassen.
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