Wort am Sonntag

Es ist Sonntag. Und am Sonntag gibt es nicht viel zu tun. Keine Sorge! Hannah und Marlene springen für euch in die Bresche und versorgen euch zumindest mit der richtigen Lektüre. Unser Wort am Sonntag dreht sich dieses Mal ums Spazierengehen. Und endlich einmal haben wir nicht an dieselben Facetten bei diesem vermeintlich unspektakulären Thema gedacht. Wir wünschen gute Unterhaltung!

 

Hannah – PRO: Einsatz wird dann doch nicht immer belohnt!Hannah

Spazierengehen. Dafür bin ich aber sowas von „Pro“. Das war früher nicht so. Bei der Frage „Lift oder Stiege?“ war meine Antwort immer und aus tiefster Überzeugung der Lift.
Wir schreiben das Jahr 2014 als eine Smartphone-App und ausgeprägtes Konkurrenzdenken im Freundeskreis mein Geh-Verhalten nachhaltig veränderte. Eine Schrittzähl-App und eine Wette zwischen drei Freunden. Mehr hat es nicht gebraucht, um mich zu motivieren. Ich Opfer – während mich die gesundheitlichen Vorteile eher kalt gelassen haben, hat mich das Gefühl die Beste zu sein und die anderen zu besiegen beflügelt. Die Devise war einfach: Wer am Ende des Jahres 2015 mehr Schritte in der Tasche hat, der wird von den anderen zum Frühstück eingeladen. Challenge accepted. Besonders interessant war dabei die konstante Leistung. Er reichte nicht, in einem Monat voll einzu“gehen“, sondern man musste 12 Monate sein Bestes geben. Bei Wind und Wetter. Und so wurde im vergangenen Jahr alles gegangen, was Körper und Zeit erlaubte. Rolltreppe? Nein danke. Für eine Station die Bim nehmen? Sicher nicht. Ich bin mir der Absurdität bewusst, dass ein Schritt für mich mehr zählt, wenn er dokumentiert wird, aber eine Zeit lang war ich im Rausch. Ein leerer Akku fühlte sich wie ein Stich ins Herz an. Jeder gegangene Schritt der nicht aufgezeichnet wurde, wurde widerwillig gegangen und rückte den Schritte-Pokal in weite Ferne. Auch psychologische Kriegsführung spielte eine wesentliche Rolle. Exzessiv wurden in unsere „Battle-Gruppe“ Fußfotos und Höchststände gepostet.

Doch all das Konkurrenzdenken und Gehen hat am Ende nicht zum erhofften Erfolg geführt. Ich wurde nur traurige Zweitplatzierte. Und weil ich eine schlechte Verliererin bin, bin ich 2016 aus dem Battle ausgestiegen. Laute Buh-Rufe sind an dieser Stelle nun durchaus angebracht. Man kann auch gedanklich Paradeiser nach mir schmeißen. Aber wenn ich mich schon so anstrenge, dann möchte ich auch, dass dieser Einsatz belohnt wird. Hat man uns das nicht immer gelehrt? Nichtsdestotrotz:  Mein neues Geh-Verhalten habe ich mir beibehalten und ergötze mich selbst an meinen neuen Höchstständen. Wenigstens etwas.

 

MarleneMarlene – CONTRA: Wohin?

Spazierengehen. – Wohin? ist meiner Meinung nach nicht unberechtigt meine erste Frage. Ich liebe gehen. Das einmal zur Ausgangssituation. Ob schnell oder langsam sei meiner Begleitperson überlassen. Insofern kann ich mich anpassen. Aber: Spazierengehen, das ja der Definition nach kein Ziel hat, macht mich nervös. Was nicht für mich spricht. Dessen bin ich mir bewusst. Aber als zielstrebiger Mensch erkläre ich meinen Konflikt bereits in ebendieser attributiven Konstruktion. Ich brauche ein Ziel. Ob das nun ein Bankerl am Donaukanal ist, das wir uns dann (wichtig: im Voraus ausgemacht) nach Lust und Laune aussuchen oder ein Kaffeehaus, das wir nach einer noch nicht einmal von mir aus zu definierenden Spaziergehzeit anstreben, ist dabei relativ egal. Ich brauche einen Ausgangspunkt – der mit einem Spaziergehtermintreffpunkt zum Glück bereits festgelegt ist – und einen Endpunkt, der eben nur für mich obligatorisch ist, was mein entspanntes Mindset während dem Spazierengehen eher beeinträchtigt, sofern ich mit einem Menschen spazieren gehe, der mich charaktermäßig nicht ausreichend kennt (keine Angst, das passiert so gut wie nie, weshalb sich auch keine schwerwiegenden Probleme ob meiner Spazierengehenseigenheiten in meinem Leben auftun).

Jetzt möge eventuell der eine oder die andere meinen, ich sei ein unflexibler Kontrollmensch. Das stimmt bedingt. Ich bin ein Kontrollmensch – wo ich kann. Ich weiß allerdings auch, dass ich beim Spazierengehen teilweise Kontrolle abgeben muss. Daher gehe ich nur mit guten Freunden spazieren, die ich nach einiger Zeit mit meinen offenen Zielstrebigkeitsfragen belästigen kann. „Wie lang hastn du noch Zeit?“, „Magst vielleicht ins Café Namenindividuelleinzusetzen gehen?“ oder „Dreh’ ma dann bei der Friedensbrücke um und gehen auf der anderen Seite zurück?“ sind hier semiauffällige Alltagsfragen meinerseits, die auf für mich zu schwammige Spaziergehvereinbarungen verweisen. Sobald ein Ankerpunkt gesetzt ist, ist alles wieder gut. „Um 16 Uhr muss ich dann bei einem Termin sein“, sagt mein Spaziergehpartner etwa und ich denke mir: „Alles klar, da sollten wir dann wieder am Eingangstor vom Augarten sein. Kenn mi aus.“ Heile Welt in meinem Kopf.
Jeder, der oder die sich jetzt denkt, was meine Mutter nicht selten ausgesprochen hat: „Was du dir für (absurde) Gedanken machst!“ hat mein Wesen definitiv richtig erkannt. Aber eine starke faktorenbezogene Meinung zum Spazierengehen hat ja auch nicht jeder Mensch. Darauf könnten sich andere schon wieder was einbilden.

Fazit: Wer etwas Zeit mit mir verbringen möchte, der schlage mir gerne einen Kaffeetreff, ein Essen oder ein abendliches Wein- oder Bier-Tête-à-tête vor – denn Spazierengehen ist eindeutig zu stressig für mich.

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