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Moriz Nähr (1859-1945) kann durchaus als Pionier der Fotografie in Wien um die Jahrhundertwende bezeichnet werden. Das Leopold Museum widmet Nähr nun eine umfassende Retrospektive, welche die 30-jährige facettenreiche Schaffensphase des Fotografen dokumentieren soll. Als leitender Kurator fungierte Uwe Schlögl. Was die Besucher erwartet, hat sich VIENNARAMA für euch vorab angesehen.

Fotograf der Wiener Moderne
Die Ausstellung führt uns in den untersten Bereich des Museums, in das grafische Kabinett. Um die künstlerische Vielfalt Moriz Nährs darzustellen, wird die Schau in sechs Teilaspekte unterteilt. Im Fokus stehen dabei Selbstbildnisse, Landschaftsbilder und Stadtlandschaften, das autonome Bild, die Wiener Secession, die Verbindung zu Gustav Klimt sowie die Beziehung zur Familie Wittgenstein. Zu sehen sind insgesamt 98 Objekte, darunter unter anderem 84 Fotografien, eine Grafik, Gemälde und einige Briefe.

Landschaftsstudie, um 1890, C Privatbesitz, Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger
Landschaftsstudie, um 1890, C Privatbesitz, Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Künstlerische Selbstinszenierung
Einen wichtigen Punkt in Moriz Nährs künstlerischem Schaffen stellt das Selbstbildnis dar, welches gleichermaßen als Selbstdarstellung und Befragung des eigenen Künstlerdaseins gesehen werden kann. Im Laufe seiner Karriere entstand eine Serie, in der nicht nur Innenräume, sondern auch die Natur als Orte zur Selbstinszenierung dienten. Diese Selbstporträts wurden vor allem in der Umgebung von allseits beliebten Künstler- und „Gschnasfesten“ der Hagengesellschaft aufgenommen.

Stadt und Land
Als weitere wichtige Aspekte von Nährs fotografischen Arbeiten können seine Aufnahmen der Natur und die städtischen Motive in Wien angesehen werden. Schon seine frühen Landschaftsbilder waren ästhetisch oder „naturalistisch“ beeinflusst. Dies sollte ein gegensätzliches Nebeneinander von Zivilisation und Natur darstellen. In immer wiederkehrenden Stadtrundgängen fotografierte er die Spuren der Verwandlung und des Dahinschwindens der Architektur. Im Mittelpunkt standen dabei weniger repräsentative Bauwerke, sondern vielmehr Hauseingänge oder Straßenzüge.

Selbstbildnis in seinem Wohn- und Arbeitsraum, um 1908, C Klimt-Foundation
Selbstbildnis in seinem Wohn- und Arbeitsraum, um 1908, C Klimt-Foundation

Die Autonomie der Bilder
Als Autodidakt ging Nähr in einer natürlich geprägten Voraussetzungslosigkeit an das Medium Fotografie heran. Dies ist an seiner thematischen Vielseitigkeit und künstlerischen Wandelbarkeit zu erkennen. Die wesentlichen Gestaltungsprinzipien, wie Standpunkt oder Perspektive, kamen bei Nähr in einer freien, ungebundenen Weise zum Einsatz. Zu sehen sind, wie es für die Architekturfotografie typisch war, zum Beispiel schräge Perspektiven und Zentralansichten. Auch die Wahl des Bildausschnittes stand bei Nähr im Vordergrund, ermöglichte eine Entkontextualisierung und somit letztendlich eine Loslösung vom ursprünglichen Motiv hin zum autonomen Bild.

Wiener Secession
Mit Moriz Nähr fand die Fotografie Eingang in das künstlerische und mediale Programm der Wiener Secession, die 1897 gegründet wurde. Nähr war als Fotograf von Ausstellungen und Bildreproduktionen für die Künstlervereinigung tätig. Prägend wurden vor allem seine Innenaufnahmen der Secession, für die unkonventionelle Strategien zum Einsatz kamen, die sein Gesamtwerk im Laufe der Jahre in Richtung der Neuen Sachlichkeit oder des Neuen Sehens rückten. Als Mitglied der Hagengesellschaft, der Quelle der Secession, kam Moriz Nähr zudem als fotografischer Begleiter zum Einsatz.

Gustav Klimt, April 1902, C Bildarchiv und Graphiksammlung der ÖNB Wien
Gustav Klimt, April 1902, C Bildarchiv und Graphiksammlung der ÖNB Wien

Nähr und Klimt – eine künstlerische Symbiose
Um die Jahrhundertwende entwickelte sich ein reges Interesse an den gegenseitigen Einflüssen von Fotografie und Malerei, die auch für die künstlerische Inspiration von Moriz Nähr und Gustav Klimt zum Tragen kam. Innerhalb mehrerer Jahre fertigte Nähr zahlreiche Aufnahmen von Klimt an. Diese können als Dokument für die langwährende Freundschaft der beiden sowie die Einwirkung von Klimts frühen Gemälden auf Nährs Porträts gesehen werden. Nährs fotografische Settings in Klimts Ateliers waren ein Novum zur damaligen Zeit, da hier Privatheit und Öffentlichkeit miteinander verschmolzen.

Auf Du und Du mit der Familie Wittgenstein
Zwischen der Familie Wittgenstein und Moriz Nähr entwickelte sich eine über Jahrzehnte hinweg andauernde enge Freundschaft – insbesondere der Kontakt zu Karl Wittgensteins Schwester Clara und ab den 1920er Jahren zu dem Philosophen Ludwig Wittgenstein ist hier erwähnenswert. Dadurch war es Nähr möglich, ein umfangreiches Werk zu schaffen, welches zwischen privaten Aufträgen und künstlerischer Selbstentfaltung zu verorten ist. Bedeutend sind Nährs Werkreihen, die auf der Grundlage von Ludwig Wittgensteins „Philosophischen Untersuchungen“ durchgeführt wurden und eine „Familienähnlichkeit“ erzeugen sollten.

Eingangshalle im Haus Stonborough-Wittgenstein, Oktober/November 1928, C The Ludwig Wittgenstein Archive
Eingangshalle im Haus Stonborough-Wittgenstein, Oktober/November 1928, C The Ludwig Wittgenstein Archive

VIENNARAMA-Fazit: Mit „Moriz Nähr. Fotograf der Wiener Moderne“ ist dem Leopold Museum eine gut durchdachte, klar strukturierte und vor allem sehr informative Schau gelungen. Die äußerst empfehlenswerte Ausstellung präsentiert uns mit Moriz Nähr einen außergewöhnlichen Künstler, dessen Werke bekannter sind als sein Name selbst. Doch dies sollte sich nun ändern!


„Moriz Nähr. Fotograf der Wiener Moderne“ – noch bis 29.10.2018 im Leopold Museum!

Leopold Museum
Museumsplatz 1, 1070 Wien
Öffnungszeiten: Montag, Dienstag, Mittwoch-Sonntag: 10-18 Uhr
Donnerstag: 10-21 Uhr

Fotocredits: Leopold Museum

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