Der Herbst bringt viel Regen, aber auch neue Lust auf Kunst und Kultur. Die Albertina lädt uns mit Farbholzschnitten in ein Eck der Wiener Kunstgeschichte ein, das wir so nie gesondert kennengelernt hätten. VIENNARAMA-Redakteurin Marlene erzählt euch von Wiener Winterlandschaften und Tieren aus Schönbrunn.
Der Künstler zeigt eine Welt des Schönen, die mit ihm entstand, zuvor niemals war und niemals wieder sein wird. – Koloman Moser
Das Schöne. Das ist das Stichwort, unter dem die jüngste Ausstellung der Albertina steht. Der Farbholzschnitt, den man eher mit grober Flächenaufteilung und harten Linien assoziiert, zeigt sich hier als Facette des Jugendstils von seiner liebevoll detaillierten Seite. So wirken die Schnitte von Carl Moll teilweise wie Zeichnungen. Romantisch-nostalgische Ansichten der Stadt Wien lassen das Herz von Wienliebhabern schnell höher schlagen: Eine Villa in Döbling hier, die Hohe Warte da und auch der Belvederegarten im Winter lädt zur verzückten Betrachtung ein. Doch auch Koloman Moser hat im ersten Raum seinen Auftritt.
Inhalt oder Fläche?
An Koloman Mosers Werken merkt man, dass er nicht nur Bilder produzierte, sondern als Mitbegründer der Wiener Werkstätte unter anderem auch Möbel designte. Seine Farbholzschnitte, die sich meist auf zwei Farben beschränken, weisen stärkere Kontraste auf. „November“ zeigt beispielsweise drei Frauen in Mänteln. Die Gesichter wirken marionettenhaft, die nicht ersichtlichen Körper sind in ein ausgiebiges Kokon aus Stoff gehüllt. Der Stoff allerdings weist Muster und Dynamik auf, wie auch der reduzierte Hintergrund. Für den Zuseher rücken Linien und Geometrie in den Vordergrund. Farbholzschnitt ist eben nicht gleich Farbholzschnitt, wie wir rasch und auf angenehme Art und Weise lernen.
Land, Mensch & Tier
Da der Holzschnitt keine inhaltlichen Vorgaben setzt, sind die Motive (den Vorlieben der Künstler entsprechend) ganz unterschiedlich. So springt z. B. die Faszination Ludwig Heinrich Jungnickels für Tiere aus Schönbrunn durch Feinstheiten in Fell und Gefieder über (siehe Vorschaubild „Drei blaue Aras“, 1909), während man in den aquarellfarbigen, impressionistisch anmutenden Landschaften von Carl Moser träumen kann. Carl Anton Reichel stellt – zeitlich parallel zu Sigmund Freuds Erforschung der Sexualität – den weiblichen Akt in den Fokus. Technisch besonders charmant wirken die in Schablonenspritztechnik entstandenen Bilder, die uns an den Pointilismus (auch zurzeit in der Albertina) und Schulversuche mit Zahnbürste und Sieb erinnern.
Farbholzschnitte? Nur etwas für die ganz Harten.
Bis heute sind viele Kunstgegenstände und Gebäude Wiens vom Jugendstil geprägt. Eine fruchtbare Zeit für Liebhaber der tiefen Versenkung in Wissen und Handwerk, wie es scheint. Denn auch der Farbholzschnitt als zusammengesetztes Druckverfahren nimmt viel Zeit und Hingabe in Anspruch: Für jede Farbe des Bildes musste ein spiegelverkehrter Druckstock angefertigt werden. Wie bei einem Stempel wurde die Farbe so nacheinander von den erhabenen Stellen auf das Papier übertragen. Die ausgeschnittenen Stellen blieben weiß – nicht zuletzt deshalb waren Schneelandschaften ein beliebtes Motiv der Holzschnittkünstler. Da man aber nie wusste, wie sich das Papier beim Trocknen einer Farbe verziehen würde, war der Druckprozess stets eine nervenaufreibende Angelegenheit. Nur etwas für die ganz Harten eben.
VIENNARAMA-Fazit: Eine Ausstellung, die sehr übersichtlich kuratiert wurde: Nicht zu viel und nicht zu wenig Text, und thematisch sowie nach Künstlern geordnet. So findet man sich gut zurecht und fühlt sich nicht überfordert. Dank der Vielfalt der Bilder ist die Ausstellung auch ohne spezielles Interesse an Farbholzschnitten sehr zu empfehlen.
Der Farbholzschnitt in Wien um 1900 – bis 15. Jänner 2017 in der Albertina
Albertinaplatz 1
1010 Wien
Täglich 10:00-18:00
Mittwoch: 10:00-21:00
Foto-Credits: Albertina
Liebes Viennarama,
bin euch – und besonders Marlene Winter sehr dankbar, diese Jugendstil-Farbholzschnittausstellung aus der Ferne, aus London, miterleben zu können. Ich habe die anschaulichen, anregenden Beschreibungen mit großem Interesse und Freude gelesen. Die Illustrationen haben dann das Ganze wunderbar ergänzt.
Auch ich habe eine Vorliebe für diesen Zeitraum der Wiener Kunstgeschichte. Ich unterrichte in England Deutsch und habe das Glück mit fortgeschrittenen Schülern, die sehr offen für Kultur und Kunst sind, zu arbeiten. Ich freue mich darauf, sie auf diesen Artikel hinzuführen – wobei das stilvolle Deutsch allein schon als Inspiration gelten soll.
Liebe Anna,
danke vielmals für dein ausführliches und wertschätzendes Feedback! Wir freuen uns besonders über persönliche Rückmeldungen wie deine und freuen uns, dass wir dich auch in England mit unseren Berichten erreichen können!
Wir hoffen, deinen Schülern gefällt der Artikel ebenso und freuen uns, wenn wir auch mit unserem Schreibstil punkten können.
Danke und ganz liebe Grüße nach London!